SCHWEIZ-DEUTSCHLAND 2023
Das ist die Fortsetzung vom Vorjahr, weil wir ja damals wegen Klaus’ Fahrradunfall vorzeitig abbrechen mussten.
Do, 27. April
Abfahrt 15h.
Besuch bei Klaus’ Schwester Maria in HAID BEI ANSFELDEN, die uns mit einem köstlichen Abendessen verwöhnt.
In bewährter Weise übernachten wir vor dem Autoaus Sulzbacher in EFERDING.
203 km
Fr, 28. April
Um 7h30 müssen wir bereits geschnäuzt und gekampelt sein, damit die Mechaniker mit ihrem Werk beginnen können.
Wir haben ja im Vorjahr die Fliegengitter-Tür eingebüßt, und die Kühlschranktüre ist auch kaputt.
Wir schwingen uns auf unsere Klappräder, fahren in den Ort hinein und nützen den Vormittag zum Frühstücken und Einkaufen.
Und jetzt geht die Reise erst so richtig los.
Wir fahren Richtung Nordwesten nach BAYERN, vorbei an der Ausfahrt Haag am Hausruck, meinem Wohnort in Kindertagen. Da muss ich natürlich meinem lieben Schulfreund Fritz einen Gruß schicken.
Unseren Übernachtungsplatz finden wir in ACHAM im Oberhausental vor dem Stoi-Cafe, einem der Bauernhöfe, bei denen Camper, die Mitglied beim Verein „Landvergnügen“ sind, gratis übernachten können. Wir werden aufgefordert, das vollautomatische Melkkarussell im Kuhstall zu bewundern. Wir werden wieder einmal in unserer Entscheidung, vegan leben zu wollen, bestätigt.
Es hat den ganzen Tag geregnet, und war ziemlich kalt und diesig. Wir wollen uns nicht beklagen. Wahrscheinlich werden wir schon bald schwitzen.
Damit es ein bisschen gemütlicher wird, schauen wir uns einen Film an: „The Kid“ von Charlie Chaplin.
Dann kuscheln wir uns ins Bett. Die Regentropfen trommeln aufs Dach.
175 km
Sa, 29. April
Wir haben gut ausgeschlafen und machen uns bei strahlendem Sonnenschein auf den Weg nach Nürnberg. Die Bäume blühen. Gelbe Felder voller Löwenzahn begleiten uns. Es wird nun wirklich Frühling.
Kurz nach 15h kommen wir auf dem Campingplatz in NÜRNBERG an, den Klaus so klug ausgesucht hat. Er liegt nämlich nur einige Gehminuten von der Arena entfernt, in der wir heute Abend Joe Bonamassa erleben werden.
Zunächst radeln wir aber zur nächsten Pizzeria. Der reizende junge Wirt bringt uns - ohne Aufpreis - von allem, was wir bestellt haben die doppelte Menge, weil wir ihm offenbar sympathisch sind, und er meint, uns damit eine Freude zu machen. Uns ist das aber überhaupt nicht recht, und natürlich ist das alles viel zu viel. Mit strahlendem Lächeln nötigt er uns, die Reste mitzunehmen. Wir gehorchen zähneknirschend, weil er sich so freut.
Das abendliche Konzert ist toll, obwohl ich mich bei solchen Massenveranstaltungen mitten unter 5000 anderen Fans grundsätzlich nicht so wohl fühle.
Der Abendspaziergang zurück zu unserm Häuschen tut uns danach gut. Er führt uns am ehemaligen Reichsparteitagsgelände vorbei. Einige der Kolossalbauten stehen noch.- „Nürnberg, die Hauptstadt der Bewegung“.
Wir sind übrigens nicht die einzigen Konzertbesucher, die sich auf dem Campingplatz einquartiert haben.
225 km
So, 30. April
Gut ausgeschlafen ziehen wir kurz vor 10h wieder los. Unser heutiges Ziel ist ULM. Dort wartet auch ein Kieser-Training auf uns.
Während der Fahrt hören wir uns „zur Abwechslung“ Joe Bonamassa an, die legendäre Aufnahme aus dem Sidney Opera House. Ich lese am Handy die durchaus tiefgründigen und sehr poetischen Texte mit. Wenn man nur zuhört, versteht man sie nur schwer.
Der Weg führt uns durch den bezaubernden Ort HEIDECK mit seinen alten Fachwerkhäusern.
Noch besser gefällt uns WEMDING mit seiner eindrucksvollen großen Doppelkirche. Hier stiegen wir sogar aus und spazieren durch das schmucke mittelalterliche Städtchen mit seinen verzierten Scheinfassaden. Der Grundriss der kleinen Stadt ist fast kreisrund. Von der ehemaligen Stadtmauer entdecken wir das Amerbacher Tor. Dass in diesem idyllischen Ort, der an eine Filmkulisse erinnert, heftige Hexenverfolgungen stattfanden, erfahren wir erst später aus der Wikipedia.
An unserem Tagesziel angekommen, absolvieren wir erfolgreich unser Training und begeben uns zu unserem Schlafplatz an der Jakobsruhe, den wir schon aus dem Vorjahr kennen. Wir stehen in einer Sackgasse am Waldrand.
Das Münster lassen wir heuer aus. Wir kennen es schon recht gut.
Ich verschwinde hinter meinem Bildschirm. Klaus bearbeitet die wenigen Fotos, die wir von dieser Reise schon haben und bastelt am Auto herum- Reisealltag stellt sich ein.
216 km
Mo, 1. Mai
Ein guter Schlafplatz war das hier, wo sich Fuchs und Pizza Gute Nacht sagen und wo sich Klaus und Gerlinde Guten Morgen sagen.
Wir sind jetzt im schönen - aber leider verregneten - SCHWABENLAND. In allen Dörfern, durch die wir fahren, sind über Nacht Maibäume in den Himmel gewachsen. Z.B. in BIBERACH. Liegt das nicht an der „Schwäb’schen Eisenbahne“ mit den „vielen Haltstatione“?
Den Bodensee sehen wir nur durch eine Regenwand.
Auf unserem Weg in die Schweiz erwischen wir noch ein Zipfelchen ÖSTERREICH, was uns in BREGENZ preiswerten Diesel beschert.
Frisch aufmagaziniert überqueren wir den Rhein und sind in der SCHWEIZ, und zwar im Kanton ST. GALLEN.
Kurz vor dem Grenzübergang haben wir noch rasch vorsorglich die Mobilen Daten auf unseren Handys ausgeschaltet, damit wir keine bösen Überraschungen mit unseren Telefonrechnungen erleben. Schließlich haben wir die EU verlassen.
Die Landschaft wird deutlich bergiger. Die Gipfel sind schneebedeckt.
Unsere Tagesziel ist APPENZELL. Da führt eine gewundene Bergstraße hinauf, und alles verschwindet im Nebel. Das Wetter ist heute wirklich nicht berauschend.
Wir ziehen uns regenfest an und machen einen Spaziergang in die Stadt, die uns in ihrer Buntheit sehr gefällt. Die Fassaden sind mit vielfältigen Motiven geschmückt.
Unser Stellplatz ist der Parkplatz der Appenzeller Brauerei. Er ist erfreulicherweise mit Toiletten ausgestattet. Dafür zahlen wir gerne € 3,00 für die Nacht.
177 km
Di, 2. Mai
In der Früh beeilen wir uns sehr, denn unser günstiger Parkschein für die Nacht läuft um 8h30 ab.
Es regnet immer noch, und es ist diesig und kalt.
Für heute wäre eine Bootsfahrt geplant gewesen. Aber bei dem Wetter haben wir dazu wirklich keine Lust.
Wir fahren zum Zürichsee, den wir auf einem Damm überqueren. Und dann geht’s weiter zum Vierwaldstättersee.
Die viele alten Holzhäuser gefallen uns gut. Die Südseite besteht fast nur aus vielen kleinen Fenstern. die Wetterseite ist mit kleinen Schindeln geschützt.
Die Nebel heben sich aus den Tälern- sehr stimmungsvoll.
Die Strecke ist bergig, manchmal sogar einspurig. Nach der Passhöhe WASSERFLUH geht es bergab in den Kanton SCHWYZ, der dem Land seinen Namen gegeben hat.
Wir sind hier in der Wiege der Schweiz, denn nach einem ganz kurzen Abstecher in den Kanton URI, schauen wir über den Urner See auf die Rütliwiese hinüber, auf der im ausgehenden 15. Jhd. angeblich der legendäre Rütlischwur zwischen URI, SCHWYZ und UNTERWALDEN stattfand. Es handelt sich um eine recht steile Grünfläche oberhalb eines Felsens, der zum See abfällt- mehr nicht.
Wir fahren nun auf einer sehr schönen Strecke den See entlang. Rechts von uns taucht der bewaldete Berg Rigi auf.
Das Seeufer ist allerdings stark verhüttelt, mit Hotels, Einfamilienhäusern und modernen Wohnanlagen. Da schaut man einfach drüber, wenn man die idyllische Landschaft sehen möchte.
Klaus meint: „In der Schweiz muss man oft den Vordergrund ausblenden.“
Hurra, die Sonne kommt hervor. Das gibt Hoffnung, dass das Wetter besser wird. Immerhin hat es aufgehört zu regnen.
Wir gurken ganz schön rum, bis wir endlich nach KÜSSNACHT kommen, wo wir unseren heutigen Schlafplatz finden, einen nicht sehr ansprechenden Parkplatz für Militärfahrzeuge, der als Stellplatz ausgewiesen ist. Er ist gratis, was die Attraktivität hebt.
Jetzt haben wir uns eine ausgiebige Pause verdient, bevor wir zu Fuß losziehen.
Frisch ausgeruht machen wir eine kleine Wanderung - in der Sonne - zur „Hohlen Gasse“, die erst in jüngster Zeit wieder instand gesetzt wurde. Ein sehr netter, mit groben Flusskiesel gefestigter Weg mit grünen Hängen auf beiden Seiten. An der Stelle, an der Wilhelm Tell - so erzählt es Schiller und der Schweizer Nationalmythos - Hermann Gessler, den Reichsvogt der habsburgischen Herrschaft ermordete, steht die Tellskapelle.
Damals hat offenbar wirklich „kein and’rer Weg nach Küssnacht“ geführt. Heute geht neben uns eine viel befahrene Straße dorthin.
Nun steigen wir zur Gesslerburg hinauf. Von ihr sind nur mehr Ruinen übrig. Eine Tafel erklärt uns, dass hier nie ein Gessler gewohnt hat. Schiller hat 1804 mit seinem „Wilhelm Tell“ eine alte Legende aufgegriffen.
Die Aussicht hinunter auf unser Wohnmobil ist jedenfalls sehr nett, und wir freuen uns, dass das Wetter wieder so angenehm geworden ist.
157 km
Schon wieder so eine weite Strecke. Jetzt wird es aber bald Zeit, dass wir mit dem Kilometerfressen aufhören.
Mi, 3. Mai
Wir haben wieder gut geschlafen. Der Himmel ist bedeckt. Es ist kühl, aber es regnet nicht.
Als erstes peilen wir einen nahegelegenen Campingplatz an, weil wir unser Wasser nachfüllen und unser Klo ausleeren müssen. Er liegt in MEIERSKAPPEL- ein lustiger Name.
Erfreulicherweise gibt es keinen Schranken, und die Rezeption ist nicht besetzt. Alles funktioniert also gratis und klaglos. Es handelt sich um einen Bauernhof, der seine Wiese vermietet. Das alte Bauernhaus ist wunderschön.
Seit Tagen versuchen wir, unsere Altstoffe loszuwerden. Eine Einheimische erklärt uns, dass in der Schweiz nur Glas und Aludosen gesammelt werden. der Rest wandert in den Restmüll. Also bleibt uns nichts übrig, als unsere sorgfältig getrennten Schätze in einen normalen Mülleimer zu werfen. Unser Recyclerherz blutet zwar, aber wir sehen es pragmatisch. Wir sind in einem zivilisierten Land, und die haben hier offenbar ein eigenes System, mit ihrem Müll umzugehen.
Wir fahren weiter nach LUZERN. Vor uns taucht wieder der Vierwaldstättersee auf. Er ist riesengroß und sieht aus wie eine Hand, die ihre fünf Finger in alle Richtungen ausstreckt. Einen davon, den Urner See, haben wir ja schon gestern kennen gelernt.
Unser „Park4Night“-App schlägt uns fürs Tagesparken einen Platz hoch oben über der Stadt auf der Gütschhöhe vor, wo wir unser Gefährt für fünf Stunden gratis abstellen können.
Neben uns ist eine große Wohnanlage. Wir lernen, dass erst hier sehr wohl Kübeln für Plastik und Altpapier gibt- offenbar nur in den Häusern und nicht im öffentlichen Raum. Die Behälter sind abgesperrt. Nur die Bewohner haben eine Schlüssel. Für unser Verhalten bringt diese Erkenntnis nichts. Gleich hinter uns steht das Château de Gütsch, ein Schlösschen aus dem 19. Jhd. mit einem zu hoch geratenen Turm. Es ist uns schon vom Tal aus aufgefallen. Es wurde zum Nobelhotel ausgebaut.
Die Aussicht von hier oben ist herrlich. Wir sehen auch auf Reste der Stadtmauer mit einigen Türmen hinüber.
Wir wandern durch den Wald über viele Stufen in die Stadt hinunter und landen mitten im Zentrum, gleich bei der Spreuerbrücke, einer überdachten Holzbrücke über die ziemlich reissende Reuss, einen Abfluss aus dem Vierwaldstättersee.
Unser erstes Ziel, Kieser-Training, ist hier ganz in der Nähe. Unsere Sportsachen haben wir vorsorglich bereits angezogen.
Nach der Anstrengung geben wir uns der Kultur hin.
Das KKL (Kultur- und Kongresszentrum Luzern) von Jean Nouvel versteht sich als „Architektur als Skulptur“. In der großen Glasfront spiegeln sich der Hafen und Teile der Altstadt.
Ein großes Plakat verkündet: „Zusammen Besonderes erleben“. Das passt ja hervorragend.
Wir interessieren uns für die Kunstgalerie, aber die aktuellen Ausstellungen lassen uns eher ratlos zurück.
Der Bahnhof befindet sich gleich nebenan. Man hat offenbar den Eingang des Vorgängergebäudes stehen gelassen, samt Skulpturen und großer Uhr. Dahinter steht das moderne Gebäude. Wir gehen hinein, denn wir wollen uns jetzt unserem leiblichen Wohl widmen.
Tatsächlich finden wir das Tibits, ein tolles vegetarisches Buffet-Restaurant mit vielen veganen Optionen. Diese Kette gibt es nur in der Schweiz und ein einziges Mal in Deutschland. Wir kennen sie unter anderem aus Bern und Basel.
Wie nicht anders erwartet haben wir großartig gegessen und machen uns jetzt auf zu einem kleinen Altstadtspaziergang.
Die Sonne ist herausgekommen, und blauer Himmel zeigt sich. Daher ist es jetzt besonders schön, am See entlang zu flanieren.
Nicht zu übersehen ist die lange, abgewinkelte Kapellbrücke, die älteste überdachte Holzbrücke Europas. Bereits 1365 wurde sie gebaut. Da müssen wir natürlich drüber gehen.
110 dreieckige Gemälde, die im 16. Jhd, in der Zeit der Reformation, für die katholische Kirche warben, zierten lange Zeit ihren Dachstuhl. 1993 wurde die Brücke durch einen Brand stark beschädigt. Sie wurde restauriert, aber einige Bilder sind unrettbar verloren. Die verbliebenen sind patriotisch-martialisch und sprechen uns ohnedies nicht an. Neben uns ragt der Wasserturm aus dem See.
Nun geht es wieder zurück nach Hause. Für den Aufstieg benutzen wir den Schrägaufzug. Er funktioniert wie ein normaler Fahrstuhl. Man ruft ihn und drückt drinnen den Knopf für 1 oder 0.
Bezahlen muss man nichts. Für die Leute, die oben wohnen und die Hotelgäste ist das sehr praktisch.
Bei unserem Auto angekommen, machen wir uns wieder auf den Weg, weiter nach Süden. Die Fahrt geht am See entlang. Er glitzert wunderschön in der Sonne. Windsurfer sind unterwegs. Genau genommen handelt es sich hier um den Alpnacher See, der auch so ein weggestreckter Finger des Vierwaldstättersees ist.
Unser heutiges Tagesziel ist ALPNACH, das uns einen Gratis-Stellplatz für die Nacht bietet.
Wir sind jetzt im Kanton OBWALDEN. Wir wissen immer noch nicht, wo UNTERWALDEN ist.
Das war ja einer der Bundesgenossen beim Rütlischwur: Uri, Schwyz und Unterwalden
46 km
Do, 4. Mai
Wir haben lange ausgeschlafen.
Das Wetter ist wunderschön- frühsommerlich.
Heute freut sich Klaus besonders auf den Flüeli Ranft, wo der Hl. Klaus von der Flüe- sein Namenspatron - seine Einsiedelei hatte.
Das Haus, in dem Bruder Klaus mit seiner Familie gelebt hat, ist ein spätmittelalterliches Blockhaus mit Butzenscheiben und mit Schindeln gedecktem Giebeldach. Nach der Abberufung des Familienvaters lebte seine Frau Dorothee weiter mit ihren 10 Kindern hier.
Wir sehen eine Rauchküche, das Stübli und eine Kammer. Es gab auch noch einen Raum, in dem Klaus andere Politiker - er war ja Ratsherr und Richter - und Parteien, die Rechtsstreitigkeiten hatten, empfing.
Durch eine Klappe in der Decke zog die Wärme vom Ofen im Stübli in den oberen Stock, in dem sich die Schlafräume befanden.
1467, im Alter von 50 Jahren, verließ der Hl. Klaus - mit Einverständnis seiner Frau - seine Familie und lebte noch 20 Jahre in seiner Einsiedelei, ganz in der Nähe. Er hatte zwar kein Amt mehr inne, wurde aber weiterhin immer wieder als Vermittler und Friedensstifter aufgesucht. Auch seine Frau und die Kinder hielten immer Kontakt mit ihm.
Vom Kustoden des Häuschens erfahren wir endlich, dass UNTERWALDEN aus zwei Halbkantonen besteht: OBWALDEN und NIDWALDEN.
Endlich haben wir das jetzt geklärt.
Nun wandern wir hinunter zum Ranft, der an einem Bach liegt. An die einfache Hütte wurde später eine Kapelle angebaut. Auf viele Votivtafeln wird dem Heiligen für seine Hilfe und Fürsprache gedankt.
Einsam ist der Ort nicht mehr. Hier steht noch ein gut bestückter Devotionalienladen und eine weitere Kapelle. Auch an Pilgern mangelt es nicht.
Nach dem steilen Rückweg zu unserem Auto machen uns auf die Weiterreise.
Unser nächstes Ziel ist die Aare-Schlucht. Sie liegt ca. 30km südlich von hier.
Wir überqueren den Brünigpass und sind jetzt in den Kanton BERN gewechselt. Hier im Berner Oberland bewundern wir eine beeindruckende weiße Bergkulisse vor uns.
Der Fluss Aare hat eine tiefe Schlucht geschaffen.
Zusammen mit vielen anderen Besuchern aus den verschiedensten Ländern wandern wir über Stege nahe am tosenden Wasser durch die Klamm. Der Weg führt auch durch mehrere, nur schwach beleuchtete Tunnel, in denen es von der Decke tropft. Teilweise komme ich mir vor wie in der Grottenbahn, aber zu Fuß. Sehr eindrucksvoll sind die engen, hohen Felskamine, die uns entfernt an Jordanien und auch ein wenig an den Antilope Canyon erinnern. Dort gab es allerdings dazu noch wunderbare Farben.
Derzeit ist die Schlucht nur zu zwei Drittel zugänglich. Danach muss man umdrehen und zurückgehen.
Wir haben unser heutiges Tagesziel erreicht. Gratis-Stellplätze gibt es hier keine. Also fahren wir notgedrungen auf einen ziemlich teuren Campingplatz.
47 km
Fr, 5. Mai
Ein fauler Vormittag auf dem Campingplatz. Wir müssen hier erst um 12h auschecken.
Ohne Internet aber mit viel interessantem Lesestoff vergeht er schnell.
Dann wird es Zeit für uns, wieder aufzubrechen. Wir scharren schon mit den Hufen.
Es geht nach Westen. Die Aare wird uns heute den ganzen Tag begleiten.
Zunächst fließt sie durch den Brienzer See, an dessen Ufer wir ein hübsches Plätzchen für unsere Mittagspause finden.
Der Ortskern von BRIENZ ist dörflich geblieben. In den engen Gassen stehen schöne, alte Häuser. Man könnte von hier aus mit einer Dampfbahn auf das Rothorn hinauffahren. Wir bleiben lieber im Tal.
Auf der anderen Seite des Sees liegt ISELTWALD, das „schönste Dorf der Schweiz“- nach einem höchst willkürlichen Ranking, das Klaus schon im Vorjahr im Internet entdeckt hat und dass wir schon damals kaum nachvollziehen konnten.
Wir fahren hin und kontrollieren das. Die Halbinsel mit der schlossähnlichen Villa von 1907 ist tatsächlich recht hübsch.
Kein Wunder, dass das Berner Oberland eine der beliebtesten Ferienregionen der Schweiz ist.
INTERLAKEN ist ein Hotspot des internationalen Tourismus, weil man von hier aus die schneebedeckten Viertausender, besonders auf das Drei-Gipfel Panorama Eiger Mönch und Jungfrau erschlossen wird.
Wir haben den südlichster Punkt unserer heurigen Reise erreicht.
Die Aare fließt nun weiter in den wunderbar blauen Thuner See.
Wir finden unseren heutigen Schlafplatz, einen Parkplatz in der Nähe des Bahnhofs von THUN.
CHF 4,00 für 24 Stunden zahlen wir gerne.
Zu Fuß machen wir uns auf den Weg in die „Wasserstadt“. Eine Insel in der Aare wird durch Brücken mit der Altstadt verbunden. Auch alte überdachte Holzbrücken sind dabei. Ein Schleusensystem kanalisiert hier den Wasserdurchfluss auf eine Stelle, wodurch dort eine starke Strömung mit einer hohen Welle entsteht. Diese wird von einigen verwegenen Surfern wie in einer Brandung geritten.
Die Tische und Stühle der vielen Restaurants stehen direkt am Wasser, was fast ein wenig an Venedig erinnert.
Wir besuchen als erstes das Kunstmuseum. Es ist in den historischen Mauern des ersten Grandhotels der Stadt untergebracht. Ein reizendes Haus, direkt am Wasser, mit schmiedeeisernen, von Kletterpflanzen bewachsenen Geländern. Was die ausgestellten Werke betrifft vermag es mich allerdings nicht sehr zu beeindrucken.
Nun spazieren wir durch die hübsche Fußgängerzone in der Innenstadt, die uns ein wenig an Bern erinnert. Die viele alte Bausubstanz zeigt, wieder eimal, dass die Schweiz von den Weltkriegen verschont geblieben ist.
Die weißen Türme des Thuner Schlosses locken uns über viele Stufen hinauf. Wir genießen von hier oben die Aussicht auf die Stadt und die Berge.
Ein Aufzug lädt und für die Talfahrt ein, aber wir sind tapfer und gehen zu Fuß.
Zurück beim Auto kochen wir uns ein köstliches Chili zum Abendessen und setzen uns an unsere Laptops.
Den ganzen Nachmittag hat es heute immer wieder ein bisschen genieselt, bei gleichzeitigem Sonnenschein und warmen Temperaturen. Es hat uns also überhaupt nicht gestört.
73 km
Sa, 6. Mai
Heute steht nur das Zentrum Paul Klee auf unserem Programm. Bis dahin sind es nicht viele Kilometer. Das eindrucksvolle Gebäude von Renzo Piano - gebaut 1999 - 2005 - liegt am Stadtrand von Bern. Es besteht aus drei mit einander verbundenen halbrunden Gebäuden- Wellen, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen und sich schließlich in ihr verlieren. Uns gefällt das Konzept sehr gut.
Das Zentrum besitzt über 4000 Werke von Klee und stellt abwechseln immer ca.150 Exponate aus. Ich bin positiv überrascht von Klee’s Werk. Bisher war es mir nicht so zugänglich.
Wir sehen auch einen Film über sein Leben, wodurch der Künstler für mich noch greifbarer wird.
Zu unserer Freude läuft zusätzlich gerade eine Miró-Ausstellung, die wir auch sehr genießen.
Auf dem Parkplatz des Museums kann unser WoMo um kleines Geld über Nacht und auch morgen noch stehen bleiben.
Wir ruhen uns nach dem Kunstgenuss ein wenig aus und fahren am Nachmittag mit dem O-Bus nach BERN hinein.
Vor ca. 10 Jahren waren wir schon für eine Woche in Bern und haben alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert.
Der Bus fährt über die Bärenbrücke in die Stadt hinein. Die armen Bären, die hier aus Traditionsgründen ihr trauriges Leben fristen müssen, tun uns auch diesmal wieder leid.
Wir freuen uns, die Zytglogge - eine mittelalterliche astronomische Uhr - wiederzusehen, und wir bummeln durch die hübsche Fußgängerzone mit den bunten Brunnen.
Bern ist wirklich eine sehr hübsche Stadt.
Und dann bringt uns die Linie 12 wieder zurück nach Hause.
Hinter unserem Parkplatz entdecken wir die Naturspirale, die wir natürlich erkunden wollen. Zwischen Hecken steigt man hinauf zum höchsten Punk, der „Lufthöhe“, benannt nach einem Bild Paul Klee’s. Nun besuchen wir noch das Grab des Künstlers auf dem benachbarten Friedhof.
32 km
So, 7. Mai
Wir nehmen wieder den Bus in die Stadt hinein. Das hiesige Kieser-Studio kennen wir schon von unserem Bern-Aufenthalt von 2013. Auch an unserem Hotel von damals kommen wir vorbei.
Ebenfalls in sehr guter Erinnerung ist uns das hiesige Tibits-Restaurant geblieben.
Wir genießen also wieder die vegane Vielfalt. Dann bringt uns der O-Bus zurück zu unserem Auto, und wir starten nach BURGDORF im Emmental, dem ungeplanten Endpunkt unserer vorjährigen Reise.
Die Campingplatz-Betreiberin erkennt uns wieder. Wir stecken unsere Schmutzwäsche in die Waschmaschine, setzen unsere Helme auf und radeln über die schmale Emme-Brücke, Klaus’ „Schicksalsbrücke“ aus dem Vorjahr. Das Städtchen mit seiner Burg ist sehr nett. Natürlich statten wir auch dem Krankenhaus einen kurzen Besuch ab.
Gerade rechtzeitig, bevor ein heftiger Regenguss beginnt, sind wir wieder zu Hause.
Wir setzen uns an unsere Laptops und genießen das hiesige gute WLAN. Wir haben viel zu Recherchieren. Schließlich mussten wir es in der Schweiz eine Woche lang ohne Internet aushalten. Morgen gehts ja wieder nach Deutschland, ins „Roamingland“.
26 km
Mo, 8. Mai
Den Vormittag über sind wir im Internet unterwegs.
Die Abreise gestaltet sich dann ziemlich schwierig.
Die ganze Nacht hat es geregnet, und die Wiese auf der wir stehen, hat sich in einen Sumpf verwandelt.
Es bedeutet eine Riesen-Action, da mit dem WoMo rauszukommen. Mit verschiedenen Unterlagen, die uns die Campingplatz-Betreiberin zu Verfügung stellt, und Klaus’ Autofahrer-Geschick gelingt es schließlich.
Nach einer Putzaktion, um die Gatsch-Reste zu entfernen, können wir endlich mit vollem Wassertank und leerem Klo kurz nach 12h diesen lieb gewonnenen Campingplatz verlassen und in Richtung Norden starten.
Wir wechseln in den Kanton AARGAU. Die Aare begleitet uns noch immer. Sie führt Hochwasser.
Kurz bevor wir die Schweiz verlassen erwischen wir noch ein Zipfelchen vom Kanton SOLOTHURN.
Schließlich erreichen wir den braunen, übervollen Rhein, überqueren ihn und sind in DEUTSCHLAND, um genau zu sein, in BADEN-WÜRTTEMBERG.
Die EU hat uns wieder, und wir können unsere mobilen Daten wieder einschalten.
Die Sehenswürdigkeit des Tages finden wir in SCHOPFHEIM. In der hübschen Altstadt steht seit 2004 die sehr witzige Plastik „Die Badische Revolution“ von Peter Lenk. 1848 folgten in diesem idyllischen Städtchen genau zwei Bürger und ein Hund dem flammen den Aufruf Friedrich Heckers zur Revolte. Die als „Amazone der Revolution“ bekannte Emma Herwegh sitzt auf einer Kanone und zeigt den herbeieilenden Soldaten ihre nackte Kehrseite. Dieser Staatsmacht hat Lenk ein zeitgenössisches Gesicht verpasst. So muss sich der ehemalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel CDU - gekrönt mit Pickelhaube - den Allerwertesten des „Revolutionsweibs“ ansehen.
Wir schwelgen noch im REWE, dessen Filialen immer eine gut bestückte vegane Abteilung haben und auch Produkte verkaufen, die es bei uns gar nicht gibt. Außerdem sind die Preise in Deutschland wesentlich moderater als in der Schweiz.
Jetzt ist es nicht mehr weit zu unserem heutigen Tagesziel, dem Weingut Sommerhalter in SCHLIENGEN, Landkreis LÖRRACH, auf dem wir als Mitglied des Vereins „Landvergnügen“ gratis im WoMo übernachten können. Wir bekommen einen Platz mitten in den Weinbergen zugewiesen. Hier oben sind wir ganz allein mit einer schönen Aussicht- sogar über den Rhein hinüber bis Frankreich. Was Klaus zum Anlass nimmt, die Drohne fliegen zu lassen.
Den ganzen Tag war es heute kühl und regnerisch.
142 km
Di, 9. Mai
Wir haben auf diesem einsamen, idyllischen Platz sehr gut geschlafen.
Die Wiese ist sehr nass und der Untergrund ist weich. Mit Bauchweh, mehreren Versuchen und Einschalten der Differentialsperre haben wir schließlich wieder festen Boden unter den Reifen.
Erleichtert machen wir uns auf nach FREIBURG IM BREISGAU. Wir fahren mitten durch die guten Badischen Weine- auf ihren Reben, noch nicht einmal erblüht.
Unser schlaues App verrät uns einen Parkplatz, wo wir unser Auto für viele Stunden gratis abstellen können.
Wieder einmal bewähren sich unsere Klappräder. Auf Radwegen, einer Fahrradstraße und schließlich über Kopfsteinpflaster radeln wir ins Stadtzentrum.
„Leider“ gibt es hier schon wieder ein Kieser-Studio…
Nach einem Mittagssalat in einem netten italienischen Lokal - die Kellnerin wird im Herbst nach Wien studieren gehen - widmen wir uns der Kultur.
Die Innenstadt ist besonders hübsch, mit vielen wunderschönen alten Häusern. Schmale offene Kanälchen, durch die das Regenwasser abgeleitet wird, fließen noch heute an den Straßenrändern. Sie werden „Bächle“ genannt. Einige Kinder lassen ihre Schifflein darin schwimmen.
Das aus rötlichem Stein erbaute Münster Unserer Lieben Frau ist wirklich alt. Es wurde nicht erst im 19. Jhd. fertiggestellt, wie z.B. der Kölner Dom und das Ulmer Münster.
Die Stilreise geht hier von Spätromanik über Hochgotik zur Renaissance. Den Turm nennt Jacob Burkhardt, ein Kulturhistoriker aus dem 19.Jhd. den „schönsten der Christenheit“.
Wir betreten den Dom durch das reichskulptierte Hauptportal. Das Innere erscheint mir ziemlich dunkel.
Das hochgerühmte Altarbild, „Die Krönung Mariens“ stammt von Hans Baldung Grien (1484-1545). Ich bin kein Fan von ihm, aber Klaus schwärmt vom ehemaligen Lehrling Albrecht Dürers. Er war einer von denen, die die Revolution der italienischen Renaissance nach Deutschland brachten.
Einige Details in diesem Bild finde ich ziemlich nett:
Maria sitzt in der Mitte zwischen Gott Vater und Gott Sohn, die sie gemeinsam krönen. An den beiden Seitenflügeln drängeln sich die Aposteln zusammen. Der mit dem überdimensionalen Schlüssel muss wohl Petrus sein. Auf ihren Köpfen brennen die Pfingstflämmchen.
Jesus scheint unter dem lässig umgeworfenen Tuch nichts anzuhaben, während sein alter Vater sogar Ohrenschützer an seiner Krone trägt.
Jesus hält eine glänzende Kugel auf seinem Schoß. Wenn man genau schaut, erkennt man, dass sich Maria darin spiegelt.
Bemerkenswert finde ich, dass Maria mit ihren Händen die Merkel-Raute formt.
Viele pausbäckige Englein wuseln herum. Sie spielen die verschiedensten Instrumente oder spielen einfach nur unter Marias Gewandsaum Verstecken.
Auf der Rückseite des Altars ist die Kreuzigungsszene dargestellt. Den Künstler - sein Selbstportrait - entdecken wir mitten unter den Schaulustigen.
Gegenüber der Kirche steht das „Kaufhaus“ aus 1520 mit seinen Arkaden und kunstvoll verzierten Giebeln. Es wurde von den örtlichen Kaufleuten für Besprechungen und Festlichkeiten genutzt. Durch seine markante rote Farbe ist es nicht zu übersehen. Heute kann man hier antiquarische Bücher kaufen.
Wir haben unser Plansoll erfüllt und radeln wieder zum Auto zurück.
Nach wenigen Kilometern landen wir in GLOTTERTAL bei unserer heutigen Übernachtungsbäuerin. Der Rinzberghof ist wieder ein Weingut, ein EinFrauBetrieb. Wir kaufen uns eine Flasche Grauburgunder und kochen Abendessen.
Den ganzen Tag konnten wir frühsommerliche Wärme genießen. Jetzt, wo es uns nicht mehr stört, regnet es heftig, während wir lesen, recherchieren, schreiben und Fotos bearbeiten.
Erfreulicherweise stehen wir heute auf festem Grund.
61 km
Mi, 10. Mai
Regen, die ganze Nacht. Wie gut, dass wir auf dem befestigten Parkplatz stehen.
Weiter geht’s nach Norden mit dem Ziel OFFENBURG.
Es regnet, hört kurz auf, regnet weiter, usw.- Aprilwetter im Mai.
Unsere geplante Wanderung auf einem Naturlehrpfad fällt buchstäblich ins Wasser.
Immerhin können wir dramatische Wolkenstimmungen bewundern.
Kaum haben wir uns auf unserem heutigen Stellplatz eingerichtet, ist der Regen vorbei, und die Sonne kommt hervor. Das müssen wir für einen Spaziergang ausnützen um den wirklich netten Stadtteil Offenburg-Süd, in dem wir heute wohnen, ein wenig zu erforschen.
Dabei entdecken wir die „Blaue Moschee“ von… Offenburg, ein 2002 erbautes blaues, würfelförmiges Gebäude mit flacher silberner Kuppel und Minarett. Das Gebäude passt durchaus gut in seine Umgebung.
Es ist erst früher Nachmittag, also haben wir viel Zeit für unsere täglichen Arbeiten und zum Lesen.
Es wäre noch zu erwähnen, dass wir hier nur 20km vom Straßburg entfernt sind.
79 km
Do, 11. Mai
Am Vormittag hat Klaus Malstunde, wie jeden Donnerstag. Er ist online mit seinen Künstler-Freund:innen verbunden.
„Es regnet, es regnet, es regnet seinen Lauf.
Und wenn’s genug geregnet hat,
dann hört es zwischendurch kurz auf.“
…Um bald wieder anzufangen.
Wir sind auf dem Weg nach BADEN-BADEN.
Diese Stadt gehört zu den ältesten Städten Deutschlands. Einst war es der Lieblingsort der europäischen Aristokratie von Russland bis Portugal.
Schon in der Römerzeit war es für seine heilsamen Quellen bekannt.
Die „wichtigste“ Sehenswürdigkeit der Stadt ist das elegante Kurhaus mit den Säulen, das seit 1838 als Spielkasino genutzt wird.
Wir tun uns mit dem Wohnmobil schwer in der Stadt, und trotz sehr freundlicher Mithilfe der Bevölkerung finden wir einfach keinen Platz, wo wir es loswerden können.
Schon das Fahren allein ist fast überall verboten, was für die Radfahrer und Fußgänger natürlich fein ist.
Wir hingegen geben uns mit einer Sitzbesichtigung zufrieden und hauen wieder ab. Die Stadt hat uns ohnehin nicht in ihren Bann geschlagen.
Auf der Weiterfahrt entdecken wir erfreut einen Wanderparkplatz, den wir für unseren Brunch nutzen.
Sollte der Regen tatsächlich aufgehört haben? Wir deuten das als Einladung zu einem Waldspaziergang. Waldbaden tut ja immer gut.
Und nun peilen wir unser Tagesziel an, den Rosenhof in SINZHEIM.
Viele Pferde gibt es hier und einen stolzen Pfau. Auf der Weide stehen süße, wuschelige Hochlandrinder samt ihren Kälbchen. Daneben verkündet ein Schild: „Frisches Beef-Hack“. Ihr Werdegang ist also vorgezeichnet.
Das war heute also alles in allem ein „ereignisreicher“ Tag.
66 km
Fr, 12. Mai
Zu unserer Erleichterung können wir hier unseren Wassertank füllen. Die Anzeige schlägt nämlich bereits Alarm.
Auch den Inhalt unserer Toilette werden wir los. Dafür war es auch schon höchste Zeit.
Beruhigt können wir uns also wieder auf den Weg machen.
KARLSRUHE ist unser erstes Ziel. Die Staatliche Kunsthalle ist gerade wegen einer gründlichen Sanierung geschlossen, und die wichtigsten Werke werden derzeit im ZKM = Zentrum für Kunst und Medien gezeigt. Das ist eigentlich praktisch, denn dadurch können wir eine Highlight-Ausstellung - einen Querschnitt über die Jahrhunderte hinweg - kompakt auf kleinem Raum bewundern.
Den Grundstock der Sammlung bilden die Bilder, die die äußerst kunstsinnige Markgräfin von Baden Karoline Luise im 18. Jhd. erworben hat. Dazu gehört z.B. das ausdrucksstarke Selbstportrait von Rembrandt und einige Werke von Hans Baldung Grien.
Mir persönlich gefallen ja - wie immer - die Impressionisten am besten. Den ganz alten Meistern
kann ich nicht so viel abgewinnen.
Ganz besonders spannend finde ich den Rundgang durch die eigenen Exponate des ZKM, z.B. einen Mal-Roboter, der Marslandschaften - Aufnahmen einer Marssonde - in unglaublicher Präzision nachmalt, sodass kein Unterschied zum Original erkennbar ist. Ein menschlicher Künstler könnte das nicht.
Nach dem Kunstgenuss steht als Kontrastprogramm wieder einmal Kiesern auf dem Programm.
Wir finden einen Gratis-Parkplatz am Schlosspark und radeln im Regen durch den Park - vorbei am Schloss - und durch die Fußgänger- und Radlerzone zum Studio.
Nach der Anstrengung widmen wir uns wieder der Kultur.
Wir machen einen Schwenk nach Osten und fahren zum Kloster Maulbronn.
Nachdem wir den Stellplatz, der alles bietet, was das Herz begehrt, bezogen haben, schreiten wir zur Besichtigung der großen, sehr eindrucksvollen mittelalterlichen Klosteranlage.
Im 12. Jhd. begannen 12 Zisterziensermönche aus dem Elsass mit dem Bau. Über lange Zeit wurde es immer weiter ausgebaut, und es vergrößerte sich ständig durch Schenkungen, Erbschaften und Kauf. So entstand eine regelrechte Klosterstadt, die mit einer Mauer umgeben ist.
Harmonisch verbinden sich romanische und gotische Baustile.
Die Reformation setzte dem Klosterleben ein Ende. 1556 wurde Maulbronn in eine evangelische Schule umgewandelt. Johannes Kepler, Friedrich Hölderlin und Hermann Hesse waren berühmte Schüler. Hesse verarbeitete seine Zeit im Internat in seiner Erzählung „Unterm Rad“. Er war nicht glücklich hier.
Hoffentlich geht es den Schüler:innen und Seminarist:innen, die heute hier untergebracht sind, besser.
Ihre Stimmen klingen jedenfalls glockenhell. Sie proben nämlich gerade in der Kirche für ihre morgige Aufführung der „Weltharmonik“ einem modernen Oratorium, das Karsten Gundermann zu Ehren Johannes Keplers komponiert hat. Uns gefällt das sehr gut. Die Musik begleitet uns durch den Kreuzgang mit der schönen Brunnenkapelle, ins Refektorium, in den Kapitelsaal und natürlich in die Kirche mit dem prachtvollen Chorgestühl.
Die Dimensionen zeigen, dass hier einmal viel Möchte und Laienbrüder gelebt haben.
Einer dieser Laienbrüder, der in der Küche arbeitete, soll einmal in der Fastenzeit ein Stück Fleisch geschenkt bekommen haben. Um es nicht verkommen zu lassen kam er auf die Idee, es klein zu schneiden, mit Gemüse zu vermischen und es in Teigtaschen vor den Mönchen und dem lieben Gott zu verstecken. Die Maulbronner Teigtaschen waren geboren und wurden bald nur noch Maultaschen genannt. Die in dieser Gegend sehr beliebte Spezialität wird auch heute noch im Volksmund „Hergottb’scheißerle“ genannt.
Uns ist nun auch nach Abendessen, ehe wir uns endlich unseren Bildschirmen zuwenden.
90 km
Sa, 13. Mai
Wir haben großartig geschlafen.
Unsere Camping-Nachbarin ist ein echtes Redhaus, offenbar hat sie niemandem, mit dem sie sich austauschen könnte. Nachdem wir von all ihren Krankheiten und Operationen erfahren haben, gelingt es uns zu entkommen.
Es geht nun wieder weiter nach Norden.
Wir fahren durch leuchtend gelbe Rapsfelder. Klaus meint: „Die armen Impressionisten. Sie mussten damals ganz ohne Rapsfelder malen.“
In NECKARGEMÜND machen wir nicht nur deshalb Halt, weil wir den Ortsnamen so witzig finden. Es ist übrigens die Elsenz, die hier in den sehr breiten Neckar mündet.
Wir wollen noch ein Stück Neckartal sehen.
Unser eigentliches Ziel liegt weiter im Westen: HEIDELBERG.
Eine lebendige Studentenstadt mit nettem Flair. Bei strahlendem Sonnenschein sitzen die jungen Leute auf der Wiese oder am Neckar. Manche machen eine Bootspartie in Holzbooten nach historischem Vorbild. Auch ein solarbetriebenes Ausflugsschiff für Touristen gibt es, die „Neckarsonne“.
Wie spazieren vorbei an der Alten Universität, der ältesten Deutschlands, zur „Alten Brücke“aus rotem Sandstein. An dieser Stelle gab es bereits in der Römerzeit einen Vorgängerbau, und im 13. Jhd. wird eine überdachte Holzbrücke erwähnt. Im 18. Jhd. wurde die Steinbrücke gebaut, die 1945 beim Rückzug durch die Wehrmacht zerstört und 1947 wieder errichtet wurde.
Das doppeltürmige Brückentor hat mittelalterliche Bausubstanz und war ursprünglich in die Stadtbefestigung integriert.
Daneben thront schon immer der Brückenaff’ mit dem Spiegel. Die alte steinerne Figur wurde irgendwann zerstört. Seit 1979 sitzt dort eine witzige Plastik aus Bronze von Gernot Rumpf. Er zeigt mit der Rechten die „gehörnte Hand“, um den bösen Blick abzuwehren.
Von dieser äußerst belebten Fußgängerbrücke aus hat man einen schönen Blick auf das Schloss.
Übrigens brauche ich ja kaum zu erwähnen, dass es mittlerweile schon wieder regnet.
Auf dem Rückweg zu unserem Auto, kommen wir noch am imposanten „Marstall“ aus dem 16. Jhd vorbei.
Zu Hause legen wir uns trocken, während draußen die Sonne lacht- hämisch.
Nun sind es nur noch ein paar Kilometer nach OFTERSHEIM zum Spargelbauern, wo wir einen netten Platz im Grünen zugewiesen bekommen.
Neben uns steht ein reizendes Oldtimer-Wohnmobil. Es handelt sich um einen ehemaligen kleinen Autobus aus den frühen 1960er-Jahren- einen Kässbohrer-Setra, der liebevoll zum Campingbus umgebaut wurde.
86 km
So, 14. Mai
Ca. 20 km weiter im Südwesten liegt unser heutiges erstes Ziel, SPEYER.
Über die Salierbrücke überqueren wir den Rhein und landen zugleich in einem neuen Bundesland: RHEINLAND-PFALZ.
Der große Parkplatz in der Nähe des Doms nimmt uns auf. Im Domgarten wohnt die riesige „Speyrer Spinne“ aus Metall. Ihre Spinnfäden dienen den Kindern als Kletternetze.
Wir nähern uns nun dem Ölberg, einer gotischen Sandstein-Figurengruppe. Er war einst das Zentrum des Dom-Kreuzgangs, den es nicht mehr gibt.
Das Wahrzeichen der ist Stadt ist der gewaltige Dom, die größte romanische Kirche der Welt. Er symbolisiert die Macht der 1024-1125 hier residierenden salischen Kaiser. In der Vorhalle stehen und sitzen mehrere steinerne Kaiser herum, und in der Krypta sind acht Kaiser und Könige begraben.
In der Kirche wird gerade Gottesdienst gefeiert. Wir Touristen dürfen also nicht hinein.
Also betrachten wir das Bauwerk zunächst von außen. Es gefällt uns sehr gut. Aus verschiedenfarbigem Stein entsteht ein gestreiftes Muster.
Wir sehen uns in der hübschen Altstadt mit den netten alten Häusern - viele davon Fachwerk - und den viele Straßencafés um. Autos sind hier verbannt.
In der Nähe des Bischofspalais, vor dem Westwerk der Kirche, befindet sich der Domnapf, eine flache Sandsteinschale mit Inschrift. Einst symbolisierte sie die Immunitätsgrenze zwischen Stadt und Bischof.
Die herrschaftliche Maximilianstraße führt direkt auf den Altpörtel zu. Der Torturm stammt aus dem 13. Jhd. und ist mit seiner Höhe von 55m eines der gewaltigsten Stadttore Deutschlands.
Nun suchen wir das Geburtshaus von Anselm Feuerbach (1829-1880), das ganz unscheinbar ist. Wir haben vorgestern in Karlsruhe ein Jugend-Selbstportrait des Malers gesehen (fescher Kerl).
Auf dem Rückweg kommen wir noch am Judenhof vorbei, dem zentralen Bezirk des mittelalterlichen jüdischen Viertel der Stadt.
Die Messe ist zu Ende, und wir dürfen nun den Dom betreten. Der schöne romanische Innenraum besticht durch seien Schlichtheit.
Nun überqueren wir wieder den Rhein und fahren nach BADEN-WÜRTTEMBERG zurück.
Unsere nächstes Ziel ist das ca. 30 km entfernte MANNHEIM.
Wir finden einen Stellplatz im Schlosspark, direkt am Rhein. Dieser Bereich wird als Erholungsgebiet genützt.
Wir schwingen uns auf unsere Räder und radeln zum Kieser-Studio. Im Vorbeifahren werfen wir einen Blick auf das kurfürstliche Barockschloss. Nach umfänglicher Restaurierung erstrahlt es nun wieder in altem Glanz.
Wir fahren am - sehr roten - Alten Rathaus vorbei. Der - sehr gelbe - Marktplatzbrunnen steht davor.
In der gesamten Innenstadt, bis zum Ring findet man in Mannheim keine Straßennamen, sondern nur Buchstaben- und Zahlenkombinationen. Die Häuserblöcke sind nämlich schachbrettartig aufgeteilt. Es gibt 144 solche Quadrate, deren jeweilige Nummerierung sich nach ihrer Position zum Schloss richtet.
Nach unserem Training fahren wir zur Kunsthalle Mannheim, die vor allem Werke aus dem 19. und 20. Jhd. zeigt. Diese Kunstepoche gefällt mir ja besonders gut.
Die meisten Exponate befinden sich im modernen Anbau des Jugendstil-Hauptgebäudes. Ich mag Jugendstil eigentlich sehr gerne, aber das hier finde ich furchtbar. Es erinnert mich eher an Blut und Boden.
Auf der Heimfahrt schenken wir noch einem weiteren Wahrzeichen der Stadt unsere Aufmerksamkeit, dem Wasserturm, der im 19. Jhd. für die Trinkwasserversorgung der Stadt erbaut wurde. Heute steht er nur noch dekorativ inmitten von Wasserspielen.
Klaus geht Pizza essen und ich sitze am „Schreibtisch“. Recherchen ergeben, dass der Neckar hier in den Rhein mündet.
59 km
Mo, 15. Mai
Ein schöner, sonniger Morgen am Wasser. Viele Radfahrer:innen sind unterwegs, wahrscheinlich zur Arbeit. Das war ein guter Platz, sogar mit Toilette.
Mannheim hat uns besser gefallen als erwartet.
Wir machen uns auf den Weg. An der Nordgrenze der Stadt wechseln wir das Bundesland.
LORSCH liegt bereits in HESSEN.
Auf diese Stadt hat sich Klaus ganz besonders gefreut. Denn es erwartet uns hier nicht nur eine nette Altstadt mit einem Fachwerk-Rathaus, sondern ein Highlight, von dem er bereits in der Schule gelernt hat, die Torhalle - auch Königshalle genannt - eines der wenigen Denkmäler aus der Karolingerzeit- ein UNESCO-Weltkulturerbe.
Leider sind für ein Fest direkt davor Standeln aufgestellt, was ein Foto praktisch unmöglich macht. Erfreulicherweise sieht das eindrucksvolle Bauwerk von der anderen Seite genauso aus, wie von vorne- Glück gehabt.
Was hier noch steht ist der letzte Rest einer mächtigen Reichsabtei, die in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs zerstört wurde. Dieses Kloster war 774 im Beisein Karls des Großen geweiht worden. Bis zum hohen Mittelalter war es ein Macht-, Geistes- und Kulturzentrum.
Die Fassade der Torhalle präsentiert sich immer noch so, wie vor über 1000 Jahren.
Im 17. und 18. diente das Gebäude als „Kappellche“, und so wird es von den Einheimischen immer noch liebevoll genannt.
Damit ist ist unsere heutiges Programm eigentlich erledigt, und wir könnten auf den Campingplatz fahren.
Aber nein, in DARMSTADT gibt es das einzige Tibits-Restaurant in Deutschland. Da müssen wir unbedingt hin. Es ist 11h, und wir brunchen vorzüglich.
Im Baumarkt tauschen wir unsere Gasflasche, und nun peilen wir endgültig den Campingplatz in WEITERSTADT am Steinrodsee an.
Es handelt sich um eine „Hochsicherheitsanlage“. Wir haben online gebucht und eine Platznummer zugewiesen bekommen. Der Schranken bei der Einfahrt erkennt unsere Autonummer und lässt uns rein. Mit einem Code, der mit der Platznummer verbunden ist, können wir den Schlüsselsafe öffnen und einen elektronischen Türöffner für Klo, Mistplatz und Wäscheraum entnehmen… Alle Türen lassen sich nur zu bestimmten Zeiten öffnen.
Wir schaffen es, unsere Wäsche zu waschen und widmen uns dann unserem übrigen Haushalt.
Gegen Abend, als der Regen nachlässt - natürlich hat es auch heute geregnet - machen wir einen kleinen Spaziergang zum See.
93 km
Di, 16. Mai
Wir sind richtig erleichtert, als wir wieder in Freiheit sind und diesen Campingplatz mit seinem strengen Reglement, seinen Verboten, Schranken und Zäunen hinter uns gelassen haben.
Wetterbericht: Es ist ziemlich kalt und regnerisch.
Am südlichen Stadtrand von FRANKFURT stellen wir das WoMo auf einem Park&Ride-Platz ab und fahren mit der S-Bahn in die Stadt.
Einen besonderen Kunstgenuss erwarten wir uns vom Städel Museum am Mainufer. Schließlich ist es eines der bedeutendsten deutschen Kunstmuseen. Der Bankier Johann Friedrich Städel hat es 1815 durch eine Stiftung ermöglicht.
Die Sammlung präsentiert Meisterwerke europäischer Kunst aus sieben Jahrhunderten, beginnend mit dem frühen 14. Jhd. über die Spätgotik, Renaissance und Barock zur Goethezeit und vom 19. Jhd. und der klassischen Moderne bis hin zur Gegenwart.
Natürlich begeistert mich nicht alles, aber ich bin positiv überrascht. Ich freue mich, hier „Goethe in der römischen Campagna“ - mit seinen zwei linken Füßen - von Heinrich Wilhelm Tischbein im Original sehen zu können.
Als wir wieder ins Freie treten, erwartet uns Sonnenschein.
So macht uns der Spaziergang zurück zur Bahnstation wesentlich mehr Spaß und wir nehmen vom anderen Flussufer die Skyline der Stadt erst so richtig wahr. Auch zum Kaiserdom, der Wahl- und Krönungskirche der römisch-deutschen Kaiser, blicken wir hinüber.
Unser Platz für Abend und Nacht finden wir am Stadtwald. Ein angenehm ruhiger Schlafplatz, sehr einfach und ohne jede Infrastruktur, aber die brauchen wir ja heute ohnehin nicht.
39 km
Mi, 17. Mai
Wieder ein guter Platz. Fluglärm gibt es von 23h-6h keinen, also war es auch sehr ruhig.
Wir fahren wieder zur Park&Ride-Anlage. Diesmal nehmen wir die Klappräder in der S-Bahn mit, damit wir in der Stadt mobiler sind. Das bewährt sich sehr.
Wir steigen an der Endstation Neu Isenburg ein. Der Anfang der Strecke führt ganz idyllisch durch den Stadtwald.
Frankfurt wurde im Krieg sehr stark zerbombt. Es gibt daher nur wenig alte Bausubstanz. Man ist direkt überrascht, wenn ein altes Haus auftaucht, z.B. die kleine barocke Hauptwache, die gar nicht zwischen die Wolkenkratzer zu passen scheint. Heute wird das Gebäude als Café genutzt.
Erster Punkt unserer heutigen Tagesordnung: Kiesern. Das ganz neue Studio ist in einem erst kürzlich gebauten Wolkenkratzer aus Stahl und Beton untergebracht. Die Kästchen in den Umkleideräumen tragen statt Zahlen die Namen von Kieser-Standorten. Ich suche mir „Wien“ aus.
Nun nehmen wir uns den gotischen Kaiserdom aus rotem Sandstein vor. Im Krieg wurde er stark beschädigt und nachher wieder aufgebaut. Das Innere birgt einige gotische Flügelaltäre.
Auf einer Predella ist das Letzte Abendmahl besonders herzig dargestellt. Auf dem Tisch sieht man die herrlichsten Speisen. Mich erinnert es an ein Bild in einem Märchenbuch. Es zeigt das Gelage der Räuber, das die Bremer Stadtmusikanten zu sehen bekommen, als sie durchs Fenster schauen.
An den Wänden sind gotische, bunt bemalte Grabplatten angebracht. Die Verstorbenen haben ihre Wappen und Helme dabei. Auf einem Helm ist statt eines Federbusches eine Hand zu sehen, die eine Keule schwingt. Uns bringt das zum Lachen.
Gleich nebenan befindet sich die Neue Altstadt, die zwischen Dom und Römer - dem Rathaus mit seiner charakteristischen Treppengiebelfassade - zwischen 2012 und 2018 wieder aufgebaut wurde- ein städtebauliches Großvorhaben auf einem ca. 7000 m2 großes Grundstück.
Auch Innenhöfe, Plätze, Straßenzüge und der kaiserliche Krönungsweg wurden rekonstruiert.
Das Prunkstück ist das reich verzierte Haus zur Goldenen Waage, ein ursprünglich mittelalterliches Fachwerkhaus.
Das Vorhaben wurde in der Bevölkerung sehr kontrovers diskutiert, und schließlich gab es eine Abstimmung, die positiv ausging.
Mir gefällt’s, obwohl es ein bisschen wie Disneyland aussieht, weil alles so neu und frisch ist. „Minimundus in groß“, nenne ich es. Aber mit der Zeit wird es schon Patina kriegen.
Geschäfte, Lokale und Bewohner sind mittlerweile eingezogen.
Die Architekten und Handwerker haben mit großer Begeisterung an diesem aufwändigen Projekt gearbeitet, obwohl es nicht ganz einfach war, weil viele Auflagen - z.B. Brandschutz - zu erfüllen waren.
Wir wechseln das Thema und radeln zum alten Jüdischen Friedhof. Seit 1272 besteht er schon.
Die Umfassungsmauer stellt zugleich ein Mahnmal dar. Tausende Namen sind angeführt, und es steht dabei, wo die jeweilige Person ermordet wurde.
Die Mägen knurren und wir suchen die Zeil-Kitchen auf. Dieses Lokal habe ich bereits zu Hause in Wien für uns ausgesucht. Der Besitzer wurde vor einigen Jahren vegan und hat sein Lokal ebenfalls ganz auf rein pflanzlich umgestellt. Es war ein großes wirtschaftliches Risiko, aber alles andere hätte er nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren können.
Wir speisen köstlich und überreichlich. Die Kellnerin spendiert noch zwei Eiskugeln, „weil wir von so weit her kommen“.
Die Zeil ist eine breite Fußgängerzone mit Fahrradverkehr. Sie gehört zu den bekanntesten und umsatzstärksten Einkaufsstraßen Deutschlands.
Nun wird es Zeit für uns, diese Stadt wieder zu verlassen. Die S-Bahn bringt uns zurück zu unserem Auto.
Ein Stückchen müssen wir heute noch fahren, bis HOFHEIM AM TAUNUS zum Birkenhof, in dessen Apfelgarten wir unser Nachtlager aufschlagen werden.
Wir befinden uns im hessischen Apfelweingebiet. Diesem Umstand müssen wir unbedingt Rechnung tragen. Schließlich gibt es hier einen Hofladen, der uns "Äppelwoi" verkauft.
Wetterbericht: Den ganzen Tag kein Regen, vormittags kalte 10°, nachmittags angenehme 20°.
32 km
Do, 18. Mai, Christi Himmelfahrt
Der Schlafplatz war wieder sehr angenehm, aber wir hatten auch hier wieder wenig Kontakt zu den Bauersleuten. Im Vorjahr wurden wir mehrmals zu Weinproben eingeladen, man hat uns Kuchen gebracht, und wir bekamen Hofführungen. Möglicherweise sind die Italiener und die Bayern einfach kommunikativer als die Norddeutschen.
Heute ist Vatertag, allerdings nur in Deutschland, der hier immer zu Christi Himmelfahrt gefeiert wird. Schon seit Tagen wird überall darauf hingewiesen und mit Frühschoppen und ähnlichen „männlichen“ Veranstaltungen geworben.
Wir fahren zum Kastell Saalburg. Dieses ehemalige befestigte Römerlager wurde in den Jahren 1898 bis 1901 aufwändig rekonstruiert. Kaiser Wilhelm II legte den Grundstein.
Das Kastell liegt auf dem Taunuskamm und bildete den natürlichen Übergang von der Ebene des Main in das Siedlungsgebiet der Germanen. Ein Wall, eine Mauer und ein doppelter Graben umgeben es. Bis 210 n.Chr. war es ein Teil des Limes. Die Römer kontrollierten hier den wichtigen Verkehrsweg über den Taunus. Es wurde als „der Adler am Rande des römischen Imperiums“ bezeichnet.
Man sieht auch Mauerreste, und Fundstücke werden liebevoll präsentiert. In kleinen Filmchen kann man antike Handwerksarbeiten sehen, z.B.: die Herstellung von Öllämpchen, Schuhen, Beinschnitzereien, Schmiedearbeiten, usw.
Außerhalb der Festung lebten die Familien der Soldaten und einige Handwerker.
Die ganze Anlage vermittelt einen lebendigen Einblick in die Antike.
Der Umweg hierher hat sich auf alle Fälle gelohnt.
Für unser nächstes Ziel überqueren wir den Rhein und machen eine Abstecher nach RHEINLAND-PFALZ.
Wir erreichen MAINZ („wie es singt und lacht“) und sind von der Atmosphäre der Stadt gleich positiv beeindruckt.
Der Dom ist aus rotem Sandstein. Er ist fast vollständig mit kleineren Häusern umbaut. In der imposanten romanischen Pfeilerbasilika fanden im Laufe der Jahrhunderte sieben Königskrönungen statt.
Der Marktplatz davor gefällt uns besonders gut. Einige der Häuser sind bemalt.
Seit 1975, dem 1000-jährigen Dombaujubiläum steht hier eine sogenannte Heunensäule.
Es gibt mehrere solche Rundstützen, die ursprünglich für den Wiederaufbau des 1009 abgebrannten Doms bestimmt waren. Sie wurden aus vorauseilender Geschäftstüchtigkeit noch vor Auftragserteilung in einem nahe gelegenen Steinbruch hergestellt. Der Bauherr hat sich aber dann für andere Stützen entschieden, also liegen die Rohlinge seit dem 11.Jhd. immer noch rum. Einige davon wurden an verschiedenen Standorten in Deutschland aufgestellt.
Diese hier wurde mit einem Sockel aus Bronze versehen, den an den Ecken ein Helm, eine Krone, eine Bischofsmütze und eine Fasnachtskappe zieren.
Mainz gehört ja mit Köln und Düsseldorf zu den Karnevalshochburgen.
Bei einem Spaziergang in der Altstadt entdecken wir noch einige hübsche Fachwerkhäuser.
Der bedeutendste Sohn der Stadt ist Johannes Gutenberg (1400-1468), der als Erfinder des Buchdrucks gilt, obwohl in China bereits zeit dem 7. Jhd. Holzdruckstöcke hergestellt wurden. Aber keiner hat mehr für die Verbreitung des Wortes getan als er.
Nun fahren wir wieder zurück über den Rhein nach HESSEN.
Die Stadt WIESBADEN bildet zusammen mit Mainz ein länderübergreifendes Doppelzentrum.
Der Main mündet hier in den Rhein.
Wir sind nun auf dem Weg zu unserem heutigen Bauernhof in WIESBADEN-ERBENHEIM.
Auf dem Hof Erbenheim wird Obstbau betrieben und Obstwein hergestellt. Zwei fesche, miteinander verheiratete Bauern schmeißen den Laden.
Nachdem wir unser Tagwerk hinter den Bildschirmen vollbracht haben, genießen wir einen Abendspaziergang durch die Felder. Man kann wieder über den Rhein hinüber nach Frankreich schauen.
108 km
Fr, 19. Mai
Nach dem Ausschlafen besuchen wir den Hofladen. Dann machen wir uns auf den Weg zum Kloster Eberbach.
Eine herbe Enttäuschung erwartet uns. Das Kloster ist bis incl. Montag geschlossen. Grund dafür nennt man uns keinen.
Wir sitzen auf dem Parkplatz und planen um. So viele Dinge sind dabei zu bedenken. Quartiere müssen abgesagt bzw. verschoben werden. Einen Programmpunkt haben wir schon fix gebucht. Klaus ist ja, was Reiseplanung betrifft, ein Meister in seinem Fach. Und bald haben wir eine gute Lösung, sodass wir am Dienstag hierher zurückkehren können.
Immerhin lassen wir die Drohe fliegen, die uns einen Überblick von oben zeigt.
Hoffentlich wird sich unsere Mühe auszahlen.
Bei der Weiterfahrt fällt uns der kleine Ort HATTENHEIM auf. Viele schöne Fachwerkhäuser bilden den Ortskern. Einige davon sind mit floralen Mustern aus Holz geschmückt. So etwas haben wir bis jetzt noch nie gesehen.
Wir sind auf dem Weg nach BINGEN. Dorthin gelangen wir mit einer Fähre ab RÜDESHEIM. Der Rhein führt so viel Hochwasser, dass einige Inseln völlig überschwemmt sind, und ihre Bäume direkt aus dem Wasser zu ragen scheinen.
Und schon sind wir wieder in RHEINLAND-PFALZ.
Wie legen eine „Gedenkminute“ für die Hl. Hildegard ein und ignorieren ansonsten die Stadt.
Was rechts des Rheins - in Hessen - der Taunus ist, ist links des Rheins - in Rheinland-Pfalz - der Hunsrück. Dazwischen, tief eingeschnitten liegt das Rheintal.
Nach einem ausgiebigen Brunch fahren wir zum Wildpark RHEINBÖLLEN für einen Verdauungsspaziergang. Schließlich wird hier ein "echtes Naturerlebnis“ versprochen.
Wir hätten es besser wissen müssen. Fast alle Tiere sind in Gehegen untergebracht, die teilweise viel zu klein sind. Wir wandern auf Schotterwegen zwischen Spielplätzen, Futterautomaten und Fressstandeln dahin.
Jetzt sind wir schon mal da, also versuchen wir, es zu genießen, obwohl unsere Veganerherzen bluten. Die Bären, Wölfe, Luchse, Bisons, usw. tun uns leid.
Immerhin bekommt hier Klaus endlich einen Waschbären vor die Linse, was ihm damals in Amerika nicht gelungen ist, obwohl wir ständig danach Ausschau gehalten haben.
Unser Park4Night-App empfiehlt uns für heue Nacht einen Parkplatz vor dem Freibad. Wir nehmen dankbar an.
79 km
Sa, 20. Mai
Die Sonne begrüßt uns schon in der Früh. Und ein schöner, sonniger Tag folgt.
Wir haben heute nicht viel vor, also machen wir nach dem Frühstück eine kleine Wanderung auf den Pferdsmühlenberg. Nahezu parallel zu einer Höhenschichtlinie „erklimmen“ wir den Gipfel. Unser Weg führe durch einen Windpark.
Bei der Weiterfahrt überqueren wir den Hunsrück und landen im lieblichen Tal der Mosel, auf der lebhafter Verkehr herrscht. Riesige Ausflugsschiffe, Lastenkähne, Privatboote.
Die Stadt COCHEM, die kleinste Kreisstadt Deutschlands - sie hat nur 5000 Einwohner - erkunden wir mit den Fahrrädern. Sie ist wirklich ganz besonders malerisch. Das wissen auch hunderte andere Touristen, die sich und uns durch die Altstadt schiben. Wir hingegen schieben unsere Räder. Nach dieser Wuzlerei radeln an der Mosel entlang zurück zu unserem Auto.
Wir wir werfen noch einen Blick hinauf auf die Reichsburg, die lange Zeit eine Ruine war, bis ein reicher Berliner Kaufmann sie im 19. Jhd. in neugotischem Stil wieder aufbaute.
Für heute steht nur noch das Aufsuchen unsere Nachtquartiers in ELLENZ-POLTERSDORF auf dem Programm, bei einem der vielen Steilagen-Winzer in dieser Gegend.Klaus möchte unbedingt den Moselwein probieren. Da sind wir ja hier genau richtig.
So, 21. Mai
Ein Highlight in dieser Gegend ist die Burg Eltz. Wir wollen sie besichtigen. Das wollen auch viele, viele andere Touristen aus aller Herren Länder. Sie ist auch wirklich etwas ganz Besonderes. Führungen finden am laufenden Band statt, jeweils für ca. 35 Leute.
Vom Parkplatz weg kann man den Bus nehmen oder eine Viertelstunde durch den Wald gehen. Wofür haben wir uns wohl entschieden?
Der Anblick von außen ist schon ungewöhnlich. Über einen Zeitraum von 850 Jahren wurde sie ständig erweitert, weil die Familie immer größer wurde und sich auch in verschiedene Linien aufgespalten hat. Es wurden schließlich drei Häuser um den Burghof herum errichtet. Auf dem Felsen war schließlich kein Platz mehr, also hat man in die Höhe gebaut. Bis zu acht Stockwerke haben die Wohntürme. Die letzten Zubauten stammen aus dem Barock. Ein bisschen rot-weißes Fachwerk ist auch dabei, Das macht sich inmitten der trutzigen Mauern besonders hübsch.
Eine Bilderbuch-Burg, die auch auf dem 500-DM-Schein abgebildet war.
Die Familie ist nach 30 Generationen noch nicht ausgestorben. Der aktuelle Graf trägt immer noch den Namen Eltz und hat einige Nachkommen. Es gibt auch Privaträume in der Burg, aber ständig wohnt hier niemand mehr.
Im Burghof fallen uns besonders die Wasserspeier auf, richtig herzige Drachen und Tatzelwürmer.
Die Räume sind voll eingerichtet und teilweise üppig mit floralen Mustern bemalt.
Klaus schwärmt: „Das ist eine der tollsten Burgen, die wir jemals betreten haben.“
In der Zwischenzeit ist das Wetter wieder wunderbar warm geworden, obwohl es in der Früh gar nicht so vielversprechend ausgehen hat. Es war kühl und diesig.
Umso mehr können wir den Waldspaziergang zurück zu unserem Auto genießen.
Nach einer ausgedehnten Mittagspause ziehen wir wieder los.
Das nächste malerische Städtchen auf unserem Weg ist KOBERN-GONDORF. Hier wird das Flusstal besonders eng.
Der Doppelort lag an der ehemaligen Römerstraße. Auch die Kelten waren hier. Alte Fachwerkhäuser säumen die schmalen Gassen, die für unser WoMo denkbar ungeeignet sind. Wir belassen es bei einer Sitzbesichtigung und sind froh, als das Ortsende-Schild erscheint.
Fast auf jedem Hügel steht eine Burg oder eine Ruine. Das Moselland entpuppt sich als wahres "Burgenland".
Wir fahren über die Hunsrücker Höhenstraße und können bald auf den Rhein hinunterschauen.
Der Königsstuhl von Rhens bietet eine besonders gute Aussicht. Er steht im einstigen legendären „Nussbaumgarten“, in dem im Mittelalter Verhandlungen der Kurfürsten zur Wahl des römisch-deutschen Kaisers und einige Königswahlen durchgeführt wurden.
Das Gestühl wird 1376 erstmals erwähnt, ein „steynen gestuel, auf dem die Kurfürsten den zukünftigen König zu benennen haben.
Als der Königsstuhl nicht mehr gebraucht wurde, verfiel er und wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut.
Unser heutiger Bauer, das Weingut Volk, ist in SPAY AM RHEIN. Eine Wiese ist per Schild für Camper ausgewiesen. Menschen bekommen wir keine zu sehen.
74 km
Mo, 22. Mai
Wir sind im Oberen Mittelrheintal unterwegs, einem UNESCO-Welterbe, wie wir gerade gelesen haben. Gut, dass wir das jetzt auch wissen.
Lange Radwege ziehen sich entlang des Flusses. An der Mosel war das auch so.
Auf dem Weg nach KOBLENZ gibt unser Trinkwassertank Warnzeichen von sich. Er ist also schon ziemlich leer.
Wir fahren einfach zum nächsten Campingplatz. Kein Schranken hindert uns daran. Die Rezeption ist geschlossen. Das ist sehr praktisch, denn so können wir nicht nur gratis das Wasser nachfüllen, sondern auch unser Klo ausleeren und sämtlichen Müll und die Altstoffe entsorgen.
Nach diesem Erfolgserlebnis sind wir frisch gestärkt fürs Kiesertraining.
Danach machen wir noch ein bisschen Sightseeing.
Auf unserem Weg zum Kurfürstlichen Schloss müssen wir feststellen, dass in Deutschland nicht nur immer wieder, kommentarlos und ohne Umleitung, Straßen gesperrt werden - wovon unser GPS nichts weiß - sondern auch Fußgängerwege. Die nette Rheinpromenade können wir uns ziemlich bald abschminken.
Wir irren wieder einmal herum „’abgesperrt’ und fern der Heimat“. Schließlich finden wir den frühklassizistischen Bau.
Jetzt wollen wir aber unbedingt noch das Deutsche Eck sehen, eine künstlich aufgeschüttete Landzunge an der Mündung der Mosel in den Rhein- eine riesige Anlage.
Bis jetzt habe ich nur das „große“ und das „kleine Deutsche Eck“ gekannt. Das hier ist jetzt das „nasse“.
Ein monumentales Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. steht hier mit Blick aufs Wasser. Im 2. Weltkrieg wurde es zerstört, und der leere Sockel diente bis 1990 als „Mahnmal der deutschen Einheit“. Als sein Zweck der Wiedervereinigung erfüllt war, setzte man den Kaiser wieder drauf.
Einige große Schiffe der „Rhein-Moselschifffahrt“ warten auf Touristen, die eine mehrtägige Flusskreuzfahrt machen wollen.
Wir eilen nun zurück zum Auto, weil unser Parkschein bald abläuft. Durch die Umwege, die wir machen mussten, wird uns die Zeit knapp. Aber wir schaffen es noch rechtzeitig.
Grundsätzlich konnten wir in dieser Stadt keinen Charme entdecken, obwohl hier sowohl Metternich als auch Giscard d’Estaing geboren sind. Klaus fasst es zusammen: “Damit hat Koblenz, sein Pulver auch schon verschossen“.
Wir fahren weiter zur Abtei Maria Laach. Die Kirche ist eine hochromanischen Basilika aus dem 11. Jhd. Sie wurde aus Vulkangestein gebaut, und an ihr wurde weder in der Gotik noch im Barock herumpfuscht.
Besonders interessant ist der jüngste Teil des Baus, ist die Vorhalle. Die Kapitelle bringen uns zum Lächeln. Wir entdecken z.B. zwei raufende Knaben, die einander an den Haare ziehen, und ein verschmitztes Teufelchen, das die Sünden der Menschen in eine Liste einträgt.
Dahinter verbirgt sich ein kleiner Garten mit einem Löwenbrunnen, das sogenannte „Paradies“. Klaus fühlt sich in die Alhambra zurückversetzt -;)
Die Türme haben an allen vier Seiten tief hinuntergezogene Dächer - sogenannte Rautendächer - wie die meisten Kirchen in dieser Gegend.
Der schlichte Innenraum ist auch nach unserem Geschmack. Das Grabmal des Stifters, Heinrich II. zu Laach, ist besonders herzig, bunt bemalt mit zu großem Kopf- Kindchenschema.
1093 wurde der Grundstein für Kirche und Kloster gelegt.
Der sechseckige steinerne Baldachin über dem Hochaltar stammt aus dem 13. Jhd.
Das Mosaik im Altarraum, das Christus als Pantokrator darstellt, ist ein Geschenk von Kaiser Wilhelm II, als nach vielen geschichtlichen Wirren wieder die Benediktiner hier einzogen.
Die interessante Bibliothek hat heute geschlossen. Wir nehmen sie uns für morgen vor.
Unser heutiger Weinbauer hat seinen Hof in LEUTESDORF, am anderen Rheinufer.
112 km
Di, 23. Mai
Wir hatten wieder keinen Kontakt zu den Bauersleuten.
Es stört uns aber nicht weiter. Wir haben auch alleine unser „Landvergnügen“. Immerhin bekommen durch diesen Verein legale Gratis-Stellplätze.
Es nieselt und ist ziemlich kühl. Und wir dachten schon, dass der Sommer kommt.
Wir beeilen uns, aus der nassen Wiese raus zu kommen, auf der wir parken. Alles geht gut, ohne Schlammschlacht.
Eigentlich wollten wir am Vormittag wandern, aber der Regen wird eher stärker als schwächer.
Da entscheiden wir uns eher für ein Frühstück.
Wir fahren zurück nach Maria Laach. Den dortigen angenehmen Parkplatz mit dem kleinen Bioladen kennen wir schon von gestern.
Es gibt auch einen Laacher See. Der größte See in Rheinland-Pfalz entstand vor ca. 13.000 Jahren durch Vulkanismus. Er ist also eine mit Wasser gefüllte Caldera.
Die Abtei ist nach ihm benannt: lat. lacus = See.
Man könnte wunderbar um ihn herum wandern, aber bei Regen- nicht mit uns.
Wir haben für heute 15h eine Führung durchs Kloster gebucht. Gestern war ja geschlossen.
Die Zeit bis dahin verbringen wir mit Essen, Malen und Lesen.
Erfreulicherweise wird das Wetter etwas besser, sodass wir an der Führung trockenen Fußes teilnehmen können.
Wir erfahren, dass sich das Kloster immer noch selbst erhält. Es bekommt keine Zuschüsse von der Kirche oder dem Staat. Es gibt zwar aktuell nur mehr 23 Mönche und einen Novizen, aber über hundert Angestellte. Es handelt sich also sozusagen um ein mittelständiges Unternehmen.
Sie betreiben eine Gärtnerei, ein Gästehaus, ein Hotel, eine Buchhandlung, eine Kunstschmiede und eine Buchbinderei. Die Landwirtschaft ist verpachtet.
Das Ganze ist eine sehr nette Anlage mit hübschem Park.
Berühmt ist die wunderschöne hölzerne Bibliothek aus dem 18. Jhd. Sie erinnert uns mit ihren geschwungenen Balkonen, Etagen und Wendeltreppen ein wenig an Hogwarts.
1797 kam Napoleon mit seinen Truppen ins Rheinland. 1802 wurde die Abtei aufgelöst, enteignet und ging in den Besitz des französischen Staates über. Alles was nicht niet-und nagelfest war, haben die Franzosen mitgenommen, auch die Bücher und wertvollen Handschriften.
Nach dem Wiener Kongress gelangte das Kloster 1815 in preussischen Staatsbesitz. Die leere Anlage wurde bald an einen Privatmann verkauft. Dessen Erben veräußerten sie an die Jesuiten, die hier 1862 einzogen.
Die Bibliothek füllte sich wieder.
Als 1871 das Deutsche Reich proklamiert wurde, kam es zum Kulturkampf zwischen Kaiser und Papst. Kaiser Wilhelm II - mit seinem Kanzler Bismarck - behielt die Oberhand, und 1872 wurde ein Reichsedikt erlassen, dass besagte, dass alle Jesuiten Deutschland zu verlassen hatten. Sie zogen friedlich ab, nahmen aber alle Bücher mit.
1892 kauften die Benediktiner das leerstehende Kloster den Jesuiten ab und besiedelten es neu.
Mit dem Sammeln von Büchern mussten sie wieder von vorne anfangen.
Hier, in der alten Bibliothek stehen 70.000 Bände.
Für die wirklich kostbaren Bestände hat man 1997 den Kuhstall zu einem hochmodernen Bibliotheksarchiv umgebaut. 200.000 Bände lagern hier unter den besten Bedingungen.
Das war jetzt wirklich ein interessanter Besuch. „Aber der Wagen, der rollt“ weiter.
Wir fahren den Rhein entlang wieder nach Süden, weil wir zum Kloster Eberbach zurück wollen, das ja am Freitag geschlossen war.
Auf der anderen Flussseite sehen wir viele schöne Fachwerkhäuser mit roten Balken, eines neben dem anderen.
Wir wollen heute unbedingt noch die Loreley sehen, die in einer Rheinkurve auf einem Schieferfelsen sitzt.
Es handelt sich übrigens nicht um eine alte Sage, sondern um ein Kunstmärchen von Clemens Brentano aus 1801.
Der Name ist allerdings alt. Er stammt vermutlich vom keltischen „Ley“ für Fels und vom mittelhochdeutschen „luren“ für lauern oder von „lorren“ für heulen.
Besonders populärer ist das Loreley-Lied mit dem Text von Heinrich Heine.
Die Lorelei
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe
Er schaut nur hinauf in die Höh´.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan.
Man kann mit dem Auto auf das Loreley-Plateau hinauffahren. Das Besucherzentrum mit Museum und Fressstandel lassen wir links liegen und wandern noch über viele Stufen weiter bergauf bis zum Aussichtspunkt.
Und da sitzt sie. Die kleine Skulptur aus Bronze wurde erst im April diesen Jahres hier aufgestellt- gutes Timing. Die Aussicht von hier oben auf den Fluss ist sehr cool.
Nun haben wir endlich unser kulturelles Tagwerk vollbracht und suchen unser Nachtquartier auf.
In BACHERACH gibt es einen Campingplatz und gleich daneben einen Stellplatz, der viel billiger ist. Den nehmen wir. Zum Duschen gehen wir einfach rüber.
132 km
Mi, 24. Mai
Wir stehen hier direkt am Fluss, dessen Wasser in der Morgensonne glitzert. Das Wetter sieht heute wieder vielversprechender aus- nach den letzten beiden kalten und nassen Tagen. Der Himmel ist blau.
Und oben auf dem Berg: „Scho wieder a Burg“.
Für uns geht es weiter nach BINGEN. Die Fähre hinüber nach RÜDESHEIM kennen wir schon.
Wir sind wieder in HESSEN.
In ELTVILLE AM RHEIN wartet schon seit Freitag das ehemalige Zisterzienserkloster Eberbach auf uns.
Wir freuen uns sehr, dass wir uns entschieden haben, hierher zurückzukommen. Hier wurden ja fast alle Innenaufnahmen des Films „Der Name der Rose“ gedreht.
Die fast völlig kahle romanische Kirche hat sich ideal als Drehort geeignet. Der gotische Zubau blitzt im Film nur kurz als Anachronismus auf. Das Dormitorium mit dem wunderschönen roten Kreuzrippengewölbe wurde zum Skriptorium umgestaltet. Der kleine verzierte Aufgang zur Bibliothek - die übrigens aus Pappmaché bestand - führt in Wahrheit zum Glockenturm.
Wir besuchen auch die Zelle, in der William von Baskerville alias Sean Connery mit seinem Adlatus Adson untergebracht wurde.
Auch im Kapitelsaal und im Weinkeller wurde gedreht. Das Badehaus wurde extra für den Film gebaut.
Für die Außenaufnahmen des Films war dieses hell und freundlich wirkende Kloster aber denkbar ungeeignet. Dafür errichtete man auf einem Hügel bei Rom eines der größten Sets der europäischen Filmgeschichte.
Die Landschaftsaufnahmen wurden vor allem in den Abruzzen gedreht.
Wir verlassen die heiligen Hallen voller Eindrücke und nehmen uns fest vor, den Film so bald wie möglich nochmals anzuschauen. Schließlich haben wir ihn extra auf diese Reise mitgenommen.
Das heutige Abendprogramm steht allerdings fest: Ich habe mit meinem Reiseblog viel Arbeit, weil ich gestern nicht mehr zum Schreiben gekommen bin. Wir waren so spät dran.
Gut, dass unser heutiger Stellplatz nicht weit weg ist, in HOHENSTEIN-BREITHARDT.
Klaus hat Hunger und ich habe Fasttag. Also macht sich Klaus in diesem kleinen Ort auf Restaurantsuche. Er findet ein multikulturelles Lokal, das von einer Familie aus Aserbaidschan
geführt wird. Er plaudert mit den jungen Leuten und bringt mir schließlich ein Tortenstück von der Mama mit und eine Einladung zu einem Glas Wein für den späten Abend.
68 km
Do, 25. Mai
Gestern Abend, als wir auf dem Heimweg waren, war es bitter kalt, und in der Nacht habe ich Zusatzgewand und Decke gebraucht. Es war eine sternklare Nacht. In der Früh mussten wir sogar kurz einheizen.
Nach dem Ausschlafen - gestern ist es ja recht spät geworden - gönnen wir uns zum Frühstück die Aserbaidschanische Torte, die mich ein wenig an die Oblatentorte von Mutti erinnert.
Den restlichen Vormittag verbringen wir mit Malen und Lesen. Solche Halb-Ruhetage sind sehr angenehm.
Unser erstes Ziel für heute ist LIMBURG AN DER LAHN.
Wichtige Information: Der stinkende Käse, den ich als Kind so gerne gegessen habe stammt nicht von hier sondern aus Belgien.
Von unserem Parkplatz aus haben gleich einen schönen Blick auf die Stiftskirche zum Hl. Georg, die über der Stadt auf einem Felsen thront. Der Bau wirkt sehr harmonisch. Er vereinigt rheinische Spätromanik mit französischer Frühgotik. Lange Zeit zeigte er sich grau in grau, aber seit der 1970er-Jare erstrahlt er wieder in seiner mittelalterlichen Farbgebung aus Weiß, Rot, Ocker und Schwarz. Seine sieben romanischen Türme folgen bereits gotischer Symbolik. Sie stehen für die sieben Sakramente und die sieben Tugenden. Sechs Türme haben Rautendächer. Der mittlere ist spitz und erinnert uns ein bisschen an Mariazell.
Der Dom war auf dem 1000-Mark-Schein abgebildet.
Wir spazieren über die alte Lahnbrücke aus 1315 in die Altstadt.
Uns gefällt der Dom auch aus der Nähe, und auch drinnen fühlen wir uns wohl. Bei der Restaurierung hat man farbenfrohe Fresken frei gelegt.
Die Limburger Altstadt ist wirklich reizend- enge Gasserln und ein windschiefes Fachwerkhaus neben dem andren.
Die meisten stammen aus dem 13. Jhd. Wie finden das Haus der sieben Laster und das Haus Römer, in dessen Garten man bei Restaurierungsarbeiten die Mauerreste einer Mikwe aus dem 11. Jhd. - ein jüdisches Kultbad - entdeckt hat.
Dieser Spaziergang hat uns sehr gut gefallen. Gleich geht es weiter nach WETZLAR.
Der Name der Stadt wirkt in meinen Ohren irgendwie zackig und martialisch. Und so sieht auch der Dom aus. Klaus macht nicht einmal ein Foto, Das will was heißen. Was für ein Glück, dass sie kein Geld mehr für den zweiten Turm hatten. An was erinnert mich das bloß?
Kaum haben wir die Kirche betreten, machen wir wieder kehrt. „Gemma wieder“ ist Klaus’s einziger Kommentar. Er spricht mir aus der Seele.
Die Altstadt ist ziemlich nett, aber es ist halt schwer, gegen Limburg anzustinken. Wetzlar hat immerhin das „Lottehaus“ zu bieten, in dem Charlotte Buff geboren wurde. Die aussichtslose Liebe zu ihr hat Goethe in den „Leiden des jungen Werthers“ verarbeitet.
Unseren heutigen Schlafplatz finden wir auf dem Parkplatz der Firma Leitz, einem weltweit bekannten Unternehmen für optische Systeme. Mein Opa hatte eine Leica-Kamera.
Einige Plätze sind für Wohnmobile ausgewiesen.
97 km
Fr, 26. Mai
In der Früh ist es wie immer recht kalt.
Beim Spaziergang zum Schloss in MARBURG AN DER LAHN, frieren wir und flüchten uns ins wärmere Innere, in dem das Universitätsmuseum für Kulturgeschichte untergebracht ist.
Bei unserem Rundgang gelangen wir auch in den Fürstensaal. Um 1300 wurde er fertig gestellt. Er ist einer der größten gotischen Säle in weltlicher Nutzung.
Auch die Schlosskapelle ist eine herausragende Leistung der europäischen Burgenarchitektur.
Wie viele andere Schlösser hat es vor mehr als 1000 Jahren mit mit einem einfachen Wohnturm klein angefangen. Über die Jahrhunderte wurde ständig etwas dazu gebaut, bis es zu dem beeindruckenden Schloss wurde, das es heute ist.
Es war der Sitz der Landgrafen von Hessen. Der erste und der Begründer des Hessischen Fürstenhauses war Heinrich „das Kind“ (1244-1308), der Enkel der Hl. Elisabeth, die hier in Marburg begraben ist.
Wir parken in der Oberstadt und gehen über Kopfsteinpflaster und viele Stiegen in die Altstadt. hinunter.
Neben vielen hübschen Fachwerkhäusern - wieder einmal - fällt uns das Rathaus auf. Direkt davor liegt der stimmungsvolle Marktplatz.
Marburg ist eine der wichtigsten deutschen Universitätsstädte. Die Brüder Grimm haben übrigens hier studiert. Gerade sind wir an ihrem Wohnhaus vorbei gegangen.
Nun geht’s wieder bergauf zu unserem Auto. Wir haben ja ohnehin eine Trainingsrückstand. Die nächste Kieser-Möglichkeit ist erst in Düsseldorf.
Wir fahren weiter durchs Rheinische Schiefergebirge mit seinen sanften bewaldeten Bergrücken und landen schließlich in WETTER. Apropos, es ist wieder sehr angenehm warm geworden.
Hier gibt es nichts zu besichtigen. Also können wir uns entspannt - hinter unseren Laptops - zurücklehnen. Wir stehen auf einem angenehmen Stellplatz im Grünen, bei der Stadthalle. Er bietet alle Infrastruktur, die wir brauchen.
67 km
Sa, 27. Mai
Wir verlassen HESSEN und reisen nach NORDRHEIN-WESTFALEN (NRW) ein, wo wir einige Zeit verbringen werden.
Außerdem sind wir von Aldi Süd zu Aldi Nord gewechselt.
Wir sind ja immer noch im Rheinischen Schiefergebirge unterwegs. Hier sind die meisten Häuser mit kleinen Schindeln aus dunkelgrauem Schiefer verkleidet. Viele hübsche, ganz unterschiedliche Muster wurden und werden immer noch auf diese Weise gelegt.
Nun kommen wir ins Sauerland, genauer gesagt: in den Landkreis Hochsauerland.
Hier ist ein Schigebiet.
Die Sessellifte sind in Betrieb, weil zahllose Mountain-Biker mit dem Lift rauffahren und dann mit den Rädern runterteufeln. Es ist Pfingstwochenende. Daher ist besonders viel los.
Es sind auch viele Motorradfahrer auf diesen Bergstraßen unterwegs.
Landschaftlich ist es hier sehr schön, dichte bewaldete Berg- und Tallandschaften.
Wir kommen immer höher hinauf.
Auf der „Schanze“ - 720m hoch - steht die „Schihütte, das ganz Jahr über“. Neben einer Lederhosen-Gastwirtschaft wird auch ein WoMo-Stellplatz betrieben. Wir kommen um 11h an und haben gerade noch Glück, den letzten Platz zu ergattern. Viele Camper haben reserviert. „Es ist doch Pfingsten“ bekommen wir zu hören.
Nach unserem Brunch machen wir uns zur ersten echten Wanderung dieser Reise auf- im Rothaargebirge. Der nicht allzu steile Rundweg führt uns an monumentalen Kunstwerken vorbei, die mit dem Wald interagieren. Sie zu suchen und zu entdecken, ist eine nette Abwechslung.
Wir waren immerhin drei Stunden unterwegs und haben uns jetzt redlich einen Apfelstrudel verdient, den wir uns in der Hütte bestellen und ins WoMo holen.
Beim Gespräch mit den Wirtsleuten erfahren wir, dass es sich bei der hiesigen Schanze um eine mittelalterliche Landwehr-Wegsperre zur Kontrolle einer Straßenführung handelt. Teile der Erdwälle, die damals aufgeschüttet wurden, kann man heute noch sehen.
73 km
So, 28. Mai, Pfingstsonntag
Weit fahren wir heute nicht, nur bis SCHMALLENBERG. Dort parken wir schon wieder vor einer Stadthalle.
Und dann haben wir unsere Klappräder heraus geholt und sind durch das schöne Sauerland gefahren. Höchst jebirije (= gebirgige) Gegend, wie wir von Reinhard Mey wissen.
Bei 13% Steigung bergauf müssen wir allerdings tapfer schieben.
Jetzt wollen wir uns aber ausgiebig ausruhen.
Am Abend schauen wir uns den Film „Der Name der Rose“ an. Diesmal konzentrieren wir uns besonders auf die Drehorte.
11 km und mehr als das mit den Fahrrädern
Mo, 29. Mai, Pfingstmontag, mein Geburtstag
MESCHEDE ist unser heutiges Ziel. Die kleine Stadt bietet einen Campingplatz und ein Restaurant für meinen veganen „Geburtstagsbraten“, zu dem mich Klaus am Abend einladen wird. Eine Flasche Sekt ist auch bereits eingekühlt.
Die Aufregung des Tages bringt das Wäsche waschen. Hier funktioniert das per App, „ganz einfach und bequem“- ja, wenn man ein Netz hätte.
Offline geht gar nichts. Bevor die Nerven ganz blank liegen, klappt die Verbindung mit Waschmaschine und Trockner schließlich doch noch.
Da sind wir aber froh, wir haben nämlich kaum noch sauberes Gewand.
Nach getaner Arbeit setzen wir uns ins Freie und genießen die Sonne.
Der Hennesee - ein Stausee - würde zum Baden einladen. Aber so sommerlich ist uns noch nicht.
Das Geburtstagsessen war übrigens köstlich. Schnitzeln aus Champignons, Waldmeistereis …
78 km
Di, 30. Mai
Wir düsen auf der Autobahn - „mit Volldampf in ein neues Lebensjahr" (Zit. Klaus) - nach DÜSSELDORF, der Hauptstadt Nordrhein-Westfalens.
Heute wird „endlich“ wieder einmal geKIESERt.
Unser unverzichtbares App hat uns einen Gratis-Parkplatz gezeigt. Den weiteren Weg zum Studio legen wir per Fahrrad zurück.
Nach dem Training wechseln wir den Parkplatz zu einem WoMo-Stellplatz direkt am Rhein. Um kleines Geld werden wir hier übernachten können.
Nach der Mittagspause kommen wieder unsere Drahtesel zum Einsatz.
Wir machen uns auf den Weg zum K 20, einem Teil der der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die auf mehrere Häuser aufgeteilt ist.
Das Gebäude mit seiner charakteristischen schwarzen Granitfassade ist recht eindrucksvoll.
Die Sammlung zeigt Werke des 20. Jhd., der sogenannten „Klassischen Moderne“.
Wir sehen unter anderem Werke von Paul Klee, Wassily Kandinsky, Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Henri Matisse und Pablo Picasso.
Die Sonderausstellung von Etel Adnan (1925-2021) berührt mich sehr. Sie ist eine echte Entdeckung für uns. Die in Beirut geborene Dichterin, Philosophin und Malerin hatte eine bewegende Lebensgeschichte. Sie zeichnet sich durch einen großen und gelebten Austausch zwischen der arabischen und westlichen Welt aus.
Ihre „Poesie der Farben“ gefällt uns sehr gut.
Nun wollen wir noch ein wenig Sightseeing machen. Wir suchen unverdrossen nach Schönheit oder Charme. Die Stadt wurde im Krieg fast alles zerstört und es gibt daher praktisch keine Altstadt.
Wir umrunden die gotische Kreuzherrenkirche samt ihrem Ensemble aus alten Häusern auf Kopfsteinpflaster.
Der Königsallee, kurz Kö genannt, können wir kaum etwas abgewinnen, obwohl sie so eine tolle Luxus- Einkaufsstraße sein soll. Sie verläuft zu beiden Seiten eines Kanals, dem Kö-Graben, dem ehemaligen Stadtgraben.
Eine Großbaustelle trägt maßgeblich dazu bei, dass wir rasch das Weite suchen.
Die große Parkanlage des Hofgartens mit den Teichen ist schon eher nach unserem Geschmack. Hier fühlen sich auch die Bewohner:innen sichtlich wohl.
Schließlich entdecken wir noch den letzten Turm, der vom kurfürstlichen Schloss noch übrig ist. Er steht auf dem Burgplatz, direkt am Rhein.
Jedenfalls hat uns Klaus gekonnt durch die sehr verkehrsreiche Stadt manövriert und den vermutlich schönsten Weg gefunden, den man hier nehmen kann.
Irgendwie kann ich’s verstehen, dass „der schöne Playboy“ nicht in Düsseldorf bleiben wollte, obwohl er „nie ein Cowboy sein“ wird, wie Dorthe in ihrem Schlager 1968 feststellte.
Auch Heinrich Heine hielt es nicht in dieser Stadt. Er wurde hier geboren. Darauf sind die Düsseldorfer heute sehr stolz. Damals wurde ihm aber das Leben so schwer gemacht - durch wachsenden Antisemitismus und Zensur - dass er schließlich nach Paris übersiedelte.
Ein wunderschönes Abendrot über dem Wasser versöhnt uns mit der Stadt.
183 km
Mi, 31.Mai
Gleich in der Früh spürt man, dass das heute ein warmer sonniger Tag werden wird.
Wir verabschieden uns vom Rhein und machen uns auf den Weg nach ESSEN, das an der Ruhr liegt. Wir kommen also ins berüchtigte Ruhrgebiet, dem größten Ballungsraum Deutschlands.
Nichtsdestotrotz macht die Stadt einen netten Eindruck auf uns. Die vielen Bäume, Büsche und Blumen tragen dazu bei.
Wir finden - unserem App sei Dank - den Stellplatz, auf dem wir auch übernachten werden.
Die weiteren Weg absolvieren wir in bewährter Weise mit den Rädern.
Das Museum Folkwang ist ein bedeutendes Kunstmuseum mit Werken aus dem 19. Jhd. und der klassischen Moderne.
Das moderne Gebäude aus 2010 überrascht uns mit riesigen lichtdurchflutenden Räumen.
Interessant ist die Hängung. Verschiedenste Werke sind zu jeweils einem Thema zusammengestellt.
Jetzt haben wir Hunger. Im Internet haben wir gestern schon das „Unperfekt-Haus“ entdeckt.
Ein Hotel und Restaurant mit viel Open Space über fünf Stockwerke für kreative Leute. Es wird intern auch das „Macherhaus" genannt.
Wir genießen unsere veganen Bowls. Schließlich wollen wir Essen in Essen.
Gestärkt geht’s weiter in die City samt geschäftiger Fußgängerzone und zum Essener Münster, einer dreischiffigen gotischen Hallenkirche.
Eh ganz nett, aber uns interessieren noch mehr die Teile der um 1000 erbauten ottonischen Basilika, die man noch sehen kann.
Nun setzten wir uns wieder auf unsere Klappräder und fahren nach Hause zu unserem WoMo.
Wie jeden Tag wartet Bildschirmarbeit auf uns und zum Abendessen gibt es - in Gedenken an Maulbronn - Maultaschen. Wir „b’scheißen allerdings den Herrgott nicht“. Unsere Exemplare haben eine Gemüsefüllung.
40 km
Do, 1. Juni
Gerade als wir losfahren wollen, erscheint eine Redakteurin vom WDR auf dem Fahrrad. Sie recherchiert WoMo-Stellplätze in Essen. Sie interviewt uns und macht ein Foto. So kommen wir sogar noch ins Regionalfernsehen.
Zum Schluss legt sie uns noch ans Herz, unbedingt den Landschaftspark Duisburg zu besuchen. Der ist angeblich viel interessanter als die ehemaligen Industrieanlagen in Essen, die wie sie sagt, „blank geputzt“ und museal aufbereitet sind.
Wir lassen uns zunächst nicht von unserem Plan abbringen und fahren zur Zeche Zollverein, die ja sogar Weltkulturerbe ist. Im Ruhrgebiet macht man nämlich mit großem Engagement aus Industrieanlagen Kunst.
Kein Mensch ist ist zu sehen. Wo geht man da überhaupt rein? Es wirkt hier nicht einladend auf uns.
Das nehmen wir als Zeichen und machen einen Umweg nach DUISBURG. Immerhin ist hier Thomas’ Maria-Oma geboren.
Der Landschaftspark Duisburg-Nord, von den Einwohnern liebevoll LaPaDu genannt ist ein weitläufiges Areal - 180 ha groß - um ein stillgelegtes Hüttenwerk, das von 1901 bis 1985 in Betrieb war. Es wurde damals Spezial-Roheisen produziert, ein Vorprodukt für die Stahlherstellung. Mit dem Strukturwandel verlor die Montanindustrie an Bedeutung.
Tag und Nacht ist dieser Park öffentlich zugänglich. Am besten erkundet man ihn per Fahrrad. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen.
In die ehemalige Industrieanlage sind viele Wildpflanzen eingezogen. Sogar Bäume wachsen in den Ruinen. Die Natur scheint sich langsam alles wieder zurück zu erobern. Man fühlt sich hier durchaus wie in einem grünen Freizeitpark.
Von den ehemals fünf Hochöfen stehen noch drei. Auf einen kann man über Stiegen bis ganz hinaufsteigen. Er ist ca. 50m hoch. Alles, was einst hier gemacht wurde, wird erklärt. Von hier oben ist der Blick auf die Industrieruinen besonders interessant.
Auf manche Gebäude man mit Seil und Haken hinaufklettern. An manchen sind sogar Klettergriffe angebracht. Der Alpenverein betreibt in einem Teil der Erzbunkeranlage die größte Outdoor-Kletteranlage Deutschlands mit über 500 Kletterrouten.
In dem mit 20.000 Kubikmeter Wasser gefüllten ehemaligen Gasometer wurde ein Trainingszentrum für Taucher eingerichtet.
Direkt beim LaPaDu entdecken wir einen Gratis-Stellplatz für WoMos, bei dem wir sogar Wasser fassen können.
Wir werden hier übernachten. Wenn es dunkel wird und alles beleuchtet ist, wollen wir nämlich nochmals losziehen.
Es entfaltet sich innerhalb all dieser verrosteten Teile ein ganz spezielle Ästhetik.
In der Gebläsehalle findet eine schicke Veranstaltung für Leute in Abendgarderobe statt, die sich bei bunter Beleuchtung und Kerzenschein elegant zwischen den alten Rohren und Maschinenteilen bewegen.
Wir haben auch eine Freilichtbühne entdeckt. Das Gelände wir für vielfältige Veranstaltungen genutzt.
33 km
Fr, 2. Juni
Leider haben junge Leute auf dem Parkplatz bis 3h früh lautstark Party gemacht. Also war unsere Nachtruhe ziemlich beeinträchtigt.
Wir können auf dem Stellplatz problemlos unser Klo ausleeren, aber der Wasserautomat schluckt unsere Münzen und spuckt nur ganz wenig aus. Immerhin so viel, dass das Warnzeichen in der Anzeige verschwindet.
Wir sind trotzdem guten Mutes und machen uns auf den Weg nach Münster.
Einen Zwischenstopp legen in Vischering ein, einer der ältesten Wasserburgen Westfalens. 1270 wurde sie erbaut und im 16. und 17. Jhd erweitert. Einer unser Reiseführer bezeichnet sie als die schönste Burg im Münsterland.
Es handelt sich um eine Zwei-Insel-Anlage. Auf der einen steht die Burg, auf der anderen der Wirtschaftshof, in denen heute eine Gastwirtschaft untergebracht ist.
Das Pförtnerhaus aus 1271 dient als Ticket-Office und Souvenir-Shop.
Wir frühstücken auf dem Parkplatz. Ein Gärtner kommt auf seinem fahrbaren Rasenmäher vorbei. Er hat einen 600L- Wasserbehälter angehängt und gießt mit einem Schlauch die Blumen um uns herum.
Klaus fragt ihn spontan, ob er Trinkwasser in seinem Tank hat, und ob er uns ca. 25 Liter abgeben könnte. Der freundliche Mann ist sofort dazu bereit. Es scheint ihm sogar Spaß zu machen, uns zu helfen. Trinkgeld lehnt er ab, aber über einen Apfel scheint er sich wirklich zu freuen.
Erleichtert, weil um einige Liter schwerer, können wir uns auf die Weiterreise machen.
Unsere erste Aktion in MÜNSTER ist wieder einmal Kiesertraining.
Nach der Anstrengung freuen wir uns auf die „Beetschwestern“, wohlgemerkt mit Doppel-E. Dieses vegane Lokal habe ich auch bereits in Wien ausgesucht. Wir sitzen sehr nett im Freien unter lauten jungen Leuten und genießen das köstliche Essen.
Nun kommt die Besichtigung der Altstadt an die Reihe. Wir sind natürlich wieder mit den Bromptons unterwegs und freuen uns über das tolle Radkonzept der Stadt, das offenbar auch sehr gut angenommen wird. Wir kommen uns fast so vor wie in Holland. Wir sind ja tatsächlich nicht weit von der niederländischen Grenze entfernt.
Das Lebensgefühl in dieser Studentenstadt scheint angenehm zu sein.
Auf dem Prinzipalmarkt sehen wir einige neu errichtete Häuser im Stil des Mittelalters. Hier steht auch die gotische St. Lambertikirche, die wir zunächst mit dem Dom verwechseln.
Über dem Taufstein im Inneren der Kirche und am Maßwerk des Kirchturms wurde 2022 die sogenannte „Himmelsleiter“ der österreichischen Künstlerin Billi Thanner in zwei Teilen installiert.
Die eisernen Körbe am Turm, in denen die Leichen von 1536 hingerichteten Wiedertäufern zur Schau gestellt wurden, wollen wir gar nicht sehen.
Das spätgotische Rathaus mit seiner sehr hohen Scheinfassade wurde nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg originalgetreu wieder aufgebaut. 1648 wurde in diesem Gebäude der Westfälische Frieden unterzeichnet.
Und wo ist jetzt der Dom? Ach du liebe Güte. „Das ist ja peinlich“, meint Klaus. Auf die ursprünglich romanische Kirche wurden später gotische „Rüscherln" draufgemacht. Es schaut in unseren Augen fast lächerlich aus. Im Inneren „ist ihnen barockes Zeug auskommen“ (Zit. Klaus)- sogar kaskardierendes meine ich.
Am besten hat uns die romanischen Vorhalle gefallen.
Hat die Dame vom WDR gestern vielleicht doch recht gehabt als sie meinte: „Forget about Münster“?
Wir radeln auf der Fahrradstraße zurück zu unserem Auto, das wir am stimmungsvollen Aasee geparkt haben.
Viele Leute sitzen in der Wiese oder haben Boote gemietet. Zum Baden ist es zu kühl.
Ist ja doch eine nette Stadt, dieses Münster.
Unser heutiger Bauer hat seinen Hof in MÜNSTER-HAHNDORF. Wir werden hier tatsächlich neben dem Hühnergehege schlafen. Auch zwei Hähne sind dabei.
127 km
Sa, 3. Juni
Im ersten Morgengrauen haben die Hähne ihr Konzert begonnen. Da fällt es schwer, nochmals einzuschlafen. Aus den Tiefen von Klaus’ Decken höre ich Gemurmel: „Was hältst du von Hühnersuppe?“ Und das unter Veganern! Immerhin scheint das Federvieh hier glücklich zu sein.
Unsere Reise geht weiter Richtung Osten. Bis Münster sind wir im Wesentlichen immer nach Norden gefahren. Heute geht’s in den Teutoburger Wald.
Noch ist alles eben. Felder, an deren Rändern Klatschmohn und Kornblumen blühen und immer wieder kleine Waldstücke- eine hübsche, abwechslungsreiche Landschaft.
Bald taucht der bewaldete sanfte Höhenzug vor uns auf.
Und mittendrin und weithin sichtbar, in der Nähe von DETMOLD, steht - auf einem hohen Sockel - aufrecht und in Siegerpose Hermann.
Arminius, dem Cheruskerfürst gelang es, mehrere Stämme zu einem Bündnis gegen Rom zu vereinen. Und um 9 n. Chr. konnte er in der Schlacht im Teutoburger Wald ein großes römisches Heer unter dem Feldherr Varus vernichtend schlagen. Diese und weitere Niederlagen bewirkten, dass sich die Römer aus dem rechtsrheinischen Germanien zurückzogen.
„Varus, Varus, gib mit meine Legionen wieder.“
Erst im 16. und 17. Jhd. wurde der Name des siegreichen Helden eingedeutscht.
Das Hermanndenkmal - die höchste Statue Deutschlands (53,46m) - stammt von Ernst von Bandel. 1875 wurde es eingeweiht, und so sieht es auch aus.
Wir haben nun die Gesamtheit unseres heutigen Kulturprogramms erledigt und fahren zu unserem Nachtquartier, einem Bauernhof in LAGE-HAGEN.
Wie wir erfahren müssen, hat hier vor etwas mehr als einer Woche eine Sturzflut gewütet und enormen Schaden angerichtet hat. Ein kleiner „harmloser“ Bach ist über die Ufer getreten.
Mit viel Nachbarschaftshilfe sind die Aufräumungsarbeiten bereits recht weit fortgeschritten.
Der tolle Hofladen „Speisekammer“ ist jetzt natürlich auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Wir dürfen unsere WoMo beim SoLawi-Acker parken. Es wird wird hier nämlich Solidarische Landwirtschaft betrieben- bio natürlich. Einige Leute sind eifrig auf den Feldern beschäftigt.
132 km
So, 4. Juni
LEMGO ist das erste Ziel des Tages. Wir suchen einen Parkplatz und landen zufällig vor dem Hexenbürgermeisterhaus aus dem 16. Jhd. Genau das wollten wir uns anschauen. Hier wohnte einst ein Bürgermeister der ein besonders eifriger Hexenjäger war. Wir bewundern die aufwändige Scheinfassade im Stil der Weserrenaissance.
In diesem Stil gibt es viele Gebäude in der Stadt. Er stellt eine regionale Variante der Renaissance dar. Zwischen dem Beginn der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg erlebte der Weserraum einen Bauboom, wobei die Weser als Verkehrsweg für Waren und Ideen eine wesentliche Rolle spielte.
Lemgo wurde im Krieg nicht zerstört. Daher stehen noch sehr viele der alten Häuser. Eines davon ist z.B. die eindrucksvolle Rats-Apotheke.
Was uns in dieser Stadt noch gut gefallen hat, ist ein Kreisverkehr mit Wildblumenwiese.
Wir steuern unser nächstes Ziel an, die Externsteine, auf die sich Klaus schon ganz besonders freut.
Die 38m hohe Felsengruppe zählt zu den bedeutendsten Naturdenkmälern Deutschlands. Die Gesteinsformationen weisen eine 70-Millionen Jahre alte Geschichte auf. Im Mittelalter entstand eine sakrale Stätte inmitten der bizarren Sandsteinfelsen. Ein in den Stein geschnittenes Relief aus dieser Zeit zeigt die Kreuzabnahme Christi. Es ist in seiner Art einmalig.
Über Stiegen und Brücken kann man die Felsblöcke besteigen.
Wir entfliehen den Touristenmassen und machen eine Rundwanderung. Auf diese Weise erweisen wir dem Teutoburger Wald unsere Ehre.
Zarte Flötentöne begleiten uns. Schließlich entdecken wir den Musiker. Er hat uns mit seinem Spiel wirklich erfreut. Also werfen wir etwas Kleingeld in sein Küberl.
Noch ein touristischen Highlight wartet heute auf uns, das ehemalige Benediktinerkloster Corvey in HÖXTER.
Ursprünglich war es ein bedeutendes Karolingisches Kloster, wovon das Westwerk der Kirche mit seinen Fresken aus dem 9. Jhd. Zeugnis ablegt. Es ist UNESCO Welterbe.
Und das war auch bereits alles, was uns hier interessiert. Die alten Gebäude wurden nämlich im Dreißigjährigen Krieg zerstört und die barocken Neubauten und die heftige Barockisierung des Kircheninneren sind nicht nach unserem Geschmack.
Unser heutiger Bauer ist eigentlich ein Ausflugslokal am Silberteich.
Neben uns wohnen wieder Hühner und einige sangesfreudige Hähne, die uns wahrscheinlich morgen früh beim Aufstehen helfen werden.
93 km
Mo, 5. Juni
Die Hähne von nebenan sind erfreulicherweise Langschläfer und stören uns daher in der Früh nicht.
Wir fahren nach Göttingen. Kurz nachdem wir die Weser überquert haben, landen wir in NIEDERSACHSEN.
Wir sind jetzt in einer der bekanntesten Universitätsstädte Deutschlands. Dank der Studenten ist GÖTTINGEN eine belebte Stadt mit vielen Cafés und Bars. Auf dem Marktplatz, direkt vor dem gotischen Rathaus steht der herzige Gänselieselbrunnen. Traditionellerweise wird dieses Mädchen von den Studenten nach bestandenem Examen geküsst.
Die Brüder Grimm waren hier als Bibliothekar bzw. Professor an der Hochschule angestellt und arbeiteten an ihren Deutschen Wörterbuch.
Der Weg zurück zu unserem Auto ist ein hübscher Spaziergang durch die idyllische Altstadt mit vielen Fachwerkhäusern und bunt verzierten Backsteinhäusern. Unser Weg führt uns auch über den parkähnlichen Stadtwall und dem Leine-Kanal entlang.
Meine Assoziation mit dieser Stadt war bisher nur die französische Sängerin Barbara, die in den 1960er-Jahren ein Chanson über Göttingen geschrieben hat- als Beitrag zur Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland nach dem 2. Weltkrieg.
Auf der Weiterfahrt sehen wir Schilder mit der Aufschrift: „Hier war Deutschland geteilt“. Wir fahren also jetzt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze zur DDR entlang. Immer wieder sehen wir Tafeln. auf denen aufgezeichnet ist, wo der Eiserne Vorhang bis November 1989 mitten durch Europa verlaufen ist.
Es fällt uns auf, dass sich die Kirchtürme verändert haben. Klaus nennt das scherzhaft
„Suppentopf-Stil“.
Da wieder einmal Wäsche waschen ansteht, fahren wir auf den Campingplatz in WAHLHAUSEN im Werratal und erfahren, dass wir bereits in THÜRINGEN sind.
114 km
Di, 6. Juni
Als erstes fahren wir nach Creuzburg frühstücken. Die alte Brücke über die Werra ist stimmungsvoll. Sie wurde bereits im 13. Jhd. gebaut. Die Burg ist weit weg.
Unser nächstes Ziel ist EISENACH. Von hier aus erhaschen wir einen ersten Blick auf die Wartburg, die hoch über der Stadt thront.
Bevor wir hinaufgehen, besuchen wir aber noch das Geburtshaus von Johann Sebastian Bach
samt Denkmal und ultramodernem Konzerthaus.
Die Wartburg - UNESCO Kulturerbe - wurde im 11. Jhd. als Grenz-“Warte“ gebaut. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie immer wieder erweitert, zuletzt noch im 19. Jhd. Ein wilder Stilmix ist dadurch entstanden. 1902 wurden noch byzantinische Mosaike im einstigen Frauengemach angebracht. Die Ausstattung des Festsaals aus dem 19. Jhd. ist besonders prächtig. Rot und Gold, total übertrieben, finden wir. Sie trieft vor Nationalismus.
Das alles tut dem Mythos dieser Burg aber keinen Abbruch.
Klänge von Wagners „Tannhäuser“ durchziehen die Räume. Der legendäre Sängerwettstreit soll ja 1206 im Sängersaal stattgefunden haben. Historisch ist das allerdings nicht.
Die Hl. Elisabeth von Thüringen war von 1211-1228 die Burgherrin.
In der Vogtei hatte Martin Luther als Junker Jörg 1521/22 seinen Schreibtisch, an dem er die Bibel aus dem griechischen Urtext ins Deutsche übersetzte.
Wir haben genug und peilen unseren Stellplatz für die Nacht an. Wir schlafen in der Nähe vom Schloss Friedenstein in GOTHA, direkt neben dem Marstall, der ein wenig wie die Rossauer Kaserne aussieht.
Um 19h ruft - wie verabredet - unsere Redakteurin vom WDR für ein Video-Interview an. Sie wird uns den Beitrag, wie er im Fernsehen zu sehen sein wird, schicken. Wir sind gespannt, was alles rausgeschnitten wird.
Es regnet zwar ein bisschen, aber wir ziehen im letzten Abendlicht doch noch einmal los und sehen uns das - stark renovierungsbedürftige - herzögliche Schloss an. Den Abendspaziergang durch den Park genießen wir.
122 km
Mi, 7. Juni
Es regnet. Nichtsdestotrotz machen wir uns auf den Weg nach Erfurt. Nach längerer Zeit sehen wir wieder einmal Häuser, die mit Schieferziegeln verkleidet sind- diesmal in zwei verschiedenen Farben. Die Muster sehen aus wie gestickt.
Ganz unerwartet und ungeplant landen wir in NEUDIETENDORF, wo wir vor 20 Jahren als Vertreter:innen für SOL bei unserer deutschen Schwesterorganisation „Aufbruch“ zu Gast waren.
Der Regen hört auf, und so bleiben wir trocken, als wir in ERFURT zum Kiesertraining radeln.
Mit neuer Power machen wir uns auf unseren Drahteseln auf Erkundigungstour durch die Landeshauptstadt Thüringens.
Bei jeder Ampel freuen wir uns über die netten ostdeutschen Ampelmännchen.
Am Anger bewundern wir die neugotische Hauptpost, das Luther-Denkmal und einen modernen Brunnen, auf dessen Rand es sich gut ausruhen lässt.
In der Johannesstraße stehen eindrucksvolle historische Häuser mit sehr farbenfroh gemusterten Fassaden.
Auch der stimmungsvolle Fischmarkt hat üppigste verzierte, bunte Gebäude zu bieten. Hier steht auch das Rathaus.
Einzigartig ist die Krämerbrücke. Mit ihren 120m ist sie längste komplett mit Häusern verbaute und bewohnte Brücke Europas. Ab 1472 drängen sich die 60 mittelalterlichen Fachwerkhäuser zwischen Anger und Domplatz zusammen. Sie lag zwischen zwei Fürstentümern. Wenn man jenseits der Brücke etwas verkaufen wollte musste man jeweils Zoll bezahlen. Also verlebten die Erfurter ihren Handel direkt auf die Brücke.
Klaus liebt das Gemälde „Die Barfüßerkirche von Erfurt“ von Lyonel Feininger, und jetzt stehen wir tatsächlich vor ihr. Im 2. Weltkrieg wurde sie allerdings sehr stark zerstört. Bereits in der Reformationszeit wurde das dazugehörige, namensgebende Franziskanerkloster abgerissen.
Seit 1977 werden die Reste des Kirchengebäudes museal genutzt.
Und nun wenden wir uns der markanten gotischen Doppelkirchenanlage von Mariendom und Severikirche zu. Wir steigen die mächtige Freitreppe hinauf, auf deren Stufen sich Gäste eines Cafés auf bereitgestellten Kissen niedergelassen haben, um ihren zu Kaffee trinken.
Unser Reiseführer rühmt die perfekten Proportionen des Doms und ihre besonders große Glocke.
Uns fallen im Inneren einige schräge Details auf. Ein Gemälde, das Maria mit einem Einhorn darstellt und ein bunt bemalter hölzerner Sarg, in dem eine lebensgroße Darstellung des Leichnams Jesu liegt.
Der Barockaltar gefällt mir gar nicht, obwohl ihm Klaus einiges abgewinnen kann. Ein reich geschnitztes gotisches Chorgestühl ziert den Altarraum.
Interessant ist der „Pfeilerzyklus“, acht gewölbte Gemälde mit biblischen Szenen, die an die Rundung der Säulen angepasst wurden.
Unmittelbar daneben steht die die ebenfalls gotische Pfarrkirche St. Severi. Sie ist unspektakulär. Allerdings, die barocke Orgel „ist ihnen ausgekommen“ (Zit. Klaus).
Uns hat die Stadt mit ihren bunten Häusern, schmalen Gassen und einladenden Plätzen mit Märkten und Straßencafés sehr gefallen.
Unser Parkticket läuft ab, und wir eilen zurück zum WoMo. Wir wollen heute noch einige Kilometer in Richtung Quedlinburg machen und werfen uns daher auf die Autobahn.
Unseren Schlafplatz finden wir auf einem Stellplatz in SANGENHAUSEN in SACHSEN-ANHALT. Die Hauptattraktion dieser kleine Stadt ist das Rosarium mit 10.000 Rosen. Wir werfen eine Blick über den Zaun: Sehr schön, aber „Tausend Rosen, die MacBooks warten“.
109 km
Do, 8. Juni, Fronleichnam
Nach unserem Abstecher nach Osten zur Wartburg geht es jetzt wieder nach Norden.
Riesige Abraumhalden fallen uns auf. „Was stehen da für unmotivierte Berge herum?“ (Zit. Klaus). Bis 1990 wurde hier Kupfer und Silber abgebaut. Nunmehr kann man die „Erlebniswelt Bergbau“ besuchen und eine der Halden, die „Hohe Linde“, besteigen. Sie ist immerhin ca. 140m hoch. Wir fahren vorbei.
Auch heute erfrischt uns wieder morgendlicher Regen, aber in QUEDLINBURG ist alles wieder vorbei, und unser Spaziergang in dieser Bilderbuch-Stadt wird durch nichts getrübt.
Mehr als 1300 bestens erhaltene Fachwerkhäuser erwecken fast den Eindruck eines Freilichtmuseums. Eine Gasse ist malerischer als die andere. 2009 waren wir schon einmal hier. Damals waren noch viele Gebäude renovierungsbedürftig.
Auf dem Markt steht das mit Efeu bewachsene Rathaus und zu seinen Füßen der Quedlinburger Roland, der die Marktfreiheit der Stadt und den Beitritt zur Hanse symbolisiert.
Im Hof eines alten Fachwerkhauses wurde unauffällig - um die Straßenansicht nicht zu stören - der moderne Bau der Lyonel-Feininger-Galerie errichtet. Klaus freut sich ganz besonders, hier zu sein.
Der Maler wurde 1871 in New York geboren und kam zum Musikstudium nach Leipzig. Er wollte ursprünglich Geiger werden, konzentrierte sich aber schließlich auf die Malerei, ohne die Musik ganz aus den Augen zu verlieren.
Mit Paul Klee war er befreundet, und im Quedlinburger Architekten Herman Klump fand er einen Seelenverwandten.
Er heiratete eine Deutsche und hatte einige Kinder, die auch allesamt künstlerisch tätig waren. 1937 übersiedelte er mit seiner Frau, die Jüdin war, nach New York, wo er 1956 starb. Seine Werke wurden in der Nazi-Zeit zu entarteter Kunst erklärt.
Klump gelang es, viele seiner Bilder zu retten und heil durch den Krieg zu bringen. In DDR-Zeiten wurden dann doch einige davon vom Staat beschlagnahmt und in alle Welt verkauft- wir haben welche davon z.B. in New York gesehen.
Was übrig blieb, und was später wiedergefunden wurde, können wir heute in dieser Galerie bewundern, deren Eröffnung Klump gerade noch erlebte.
Wir sind übrigens ganz überrascht, dass Feininger auch ein so guter und pointierter Karikaturist war.
In diesem Haus findet auch gerade eine Sonderausstellung über Emil Nolde statt.
Er mag ein großer Künstler gewesen sein, aber er ist mir unsympathisch. Er war Antisemit und ein glühender Verehrer des NS-Regimes, obwohl er sich später als Opfer inszeniert hat. Als moderner Maler war seine Kunst eben auch „entartet“.
Im Nebenhaus wurde Quedlinburgs berühmtester Sohn, der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) geboren.
Nun steigen wir auf den Schlossberg hinauf. Dort oben thronen die doppeltürmige Stiftskirche und das Renaissanceschloss, das zur Zeit völlig eingerüstet ist.
Die wunderschöne romanische Kirche ist Weltkulturerbe- eine sehr eindrucksvolle Basilika aus dem 12. und 13. Jhd.
Reste des Vorgängerbaus kann man noch in der Krypta sehen. Kaiser Otto I ließ ihn 936 errichten.
An ihren Wänden sind - sehr verblasst - Fresken aus dieser Zeit zu erkennen.
Vom hübschen, kleinen Schlosspark aus können wir die Aussicht auf die Stadt genießen.
Wir stellen übrigens fest, dass hier heute kein Feiertag ist. Man ist in diesem Bundesland eben nicht katholisch.
Für heute haben wir genug Kultur getankt. In den nächsten Tagen wollen wir im Harzgebirge wandern.
Zum Übernachten suchen wir uns ein lauschiges Plätzchen im Wald. Das Gebiet hier heißt Rosstrappe.
Eigentlich wollten wir ja auf dem „Hexentanzplatz“ schlafen.Einen mystischen Kraftplatz haben wir uns vorgestellt. Vorgefunden haben wir einen Kommerzplatz mit Frittenbuden. Nichts wie weg.
Für unsere Abendgestaltung ist gesorgt. Unser Kühlschrank rinnt. Klaus, das Schanierl, findet wieder einmal die Lösung und kann das Problem beheben.
Ein heftiges Gewitter mit starken Regengüssen macht es in unserem Häuschen so richtig gemütlich.
90 km
Fr, 9. Juni
Wir fahren nur ein ganz kleines Stückchen bis zu einem Wanderparkplatz. Von hier aus starten wir unsere Wanderung hinunter ins wildromantische Bodetal und später wieder hinauf.
Also schnüren wir nach längerer Zeit wieder einmal unsere Wanderschuhe.
Das Harzgebirge ist eines der geologisch ältesten deutschen Mittelgebirge, dessen bizarre Felsformationen und tiefgrüne Wälder in vielen Märchen und Legenden eine tragende Rolle spielen.
So erfahren wir z.B. woher die Namen „Bode“ und „Rosstrappe" kommen: Ritter Bodo stellte hoch zu Ross einer Prinzessin nach. Sie rettete sich durch einen kühnen Sprung über die Schlucht. Sie und ihr Pferd landeten wohlbehalten auf der Rosstrappe, währen Bodo in den Fluss stürzte und sein Leben verlor.
Der Weg, auf dem wir wandern, wird „Schurre“ genannt. Der Serpentinenweg windet sich in 18 Spitzkehren am Osthang des Rosstrappenmassivs hinunter bzw. hinauf. Er verläuft über ein Geröllfeld, von dem der lose Gesteinsschutt ins Tal rutscht oder „schurrt“. Erosionen und Steinschläge führen immer wieder dazu, dass die Schurre nicht passierbar ist.
Sie wurde im 19. Jhd. als Jägersteig angelegt und später für den Wandertourismus ausgebaut und teilweise befestigt.
Bei wunderbarem Wetter haben wir unsere Tour genossen. Und weil’s so schön war, fahren wir wieder auf unserem Schlafplatz von gestern und bleiben noch eine Nacht in der Wildnis.
2 km
Sa, 10. Juni
Wir verlassen bei strahlendem Sonnenschein diesen schönen Platz, auf dem wir uns schon so heimisch gefühlt haben.
Viele Ortsnamen in der Gegend haben die Endung „-rode“, z.B. Harzgerode, Popperode, Wernigerode, usw. Da wurden wohl Wälder gerodet.
Von WERNIGERODE haben ich bis jetzt noch nie etwas gehört. Aber die „bunte Stadt am Harz“ entpuppt sich als ganz besonders malerisch. Eigentlich sind wir ja schon etwas übersättigt von Fachwerkhäusern aber diese hier - in der Breiten Gasse - entlocken uns doch wieder einige „Wows“.
Wirklich süß ist die Bronze-Skulptur eines Laternenanzünders. Zumal all die anderen Laternen in der Stadt immer noch genauso aussehen.
Auch das bunte gotische Rathaus auf dem Hauptplatz - zu Beginn des 15. Jhd. erbaut und frisch renoviert - gefällt uns besonders gut. Eine Inschrift besagt:
„Einer acht’s.
Der andre betracht’s.
Der dritte verlacht’s.
Was macht’s?“
Der Spruch ist heute auch noch aktuell.
Da fährt plötzlich, melodisch hupend, ein altmodischer gelber Postbus an uns vorbei. Er ist wohl
aus den 1950er-Jahren übrig geblieben und erstrahlt nun im alten Glanz. Es handelt sich um eine originelle Stadtrundfahrt.
Das Schloss ist völlig eingerüstet. Also begnügen wie uns mit einem kurzen Blick hinauf.
Bei der Weiterfahrt können wir uns kaum an den wunderschönen roten Mohnblumen sattsehen, die überall an den Feldrainen blühen.
Was uns noch auffällt: Schieferschindeln an den Hausfassaden gibt es hier keine mehr, aber stattdessen sind richtige Dachziegeln an der Wetterseite vieler Gebäude angebracht.
Wir erreichen wieder die innerdeutsche Grenze und kommen zurück nach NIEDERSACHSEN.
Das bedeutet für uns nur einen Wechsel in ein anderes Bundesland, aber vor nicht allzu langer Zeit machte es einen gewaltigen Unterschied, ob man hüben oder drüben wohnte.
Der Parkplatz der Königspfalz in WERLA wird uns für die Nacht beherbergen. Von hier aus kann man zu Fuß zur Ruine gehen. Das nehmen wir uns als heutigen Abendspaziergang vor.
Im 10. Jhd. war sie ein wichtiger Stützpunkt der Ottonen. Nachdem die Pfalz in Goslar gegründet worden war, verlor dieser Standort an Bedeutung.
Der Turm, den wir aus der Ferne sehen können, wurde 2012 rekonstruiert.
Von hier aus können wir auch den Brocken sehen, den höchsten Berg im Harz (1141m).
Und über unseren Köpfen kreisen - erstaunlich niedrig - Rotmilane.
91 km
So, 11. Juni
Wir haben gut geschlafen und freuen uns auf den Tag.
Unser erstes Ziel ist heute WOLFENBÜTTEL.
Wir parken beim hübschen Schloss. Seit der Mitte des 14. Jhd. diente es als ständige Residenz der Braunschweiger Welfen. Vier Jahrhunderte lang hielten sie hier Hof und machten aus der ursprünglichen Burg eine prächtige Barockanlage, die bis heute zu den schönsten Norddeutschlands gehört. Schon des öfteren diente es als Filmkulisse.
Die Mutter unserer Kaiserin Maria Theresia wurde in diesem Schloss geboren, und der Lügenbaron Münchhausen diente hier als Page.
Heute ist das Gymnasium hier untergebracht.
Das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel bestand bis zur Napoleonischen Ära.
Nach dem Wiener Kongress wurde es unter dem Namen Herzogtum Braunschweig restauriert und bestand bis nach dem 1. Weltkrieg.
Auf dem Schlossplatz steht noch das Zeughaus, ein großes Renaissancegebäude mit reich verzierten Stufengiebeln. Heute ist die Herzog-August-Bibliothek darin untergebracht.
Gotthold Ephraim Lessing wohnte als herzoglicher Bibliothekar die letzten vier Jahres seines Lebens - bis 1781 - im Hofbeamtenhaus, das im Stil eines französischen Parkschlösschen gebaut ist und heute ein Literaturmuseum beherbergt.
Auch die Altstadt gefällt uns gut. Es handelt sich um die erste planmäßig angelegte deutsche Renaissancestadt mit breiten Straßen und großen Plätzen.
Wolfenbüttel wurde im Krieg weitgehend verschont. Und das sieht man der Stadt auch an.
Wir können unmöglich alle 500 Fachwerkhäuser besuchen. Alle sind sie hübsch - wie üblich - einige sind besonders originell.
Für uns geht es nun weiter nach BRAUNSCHWEIG.
Der WoMo-Stellplatz in einer großen Parkanlage bietet alles, was das Camperherz begehrt.
Wir suchen wieder einmal ein Kieser-Studio auf. Danach halte ich ausgiebig Siesta, während Klaus an seinem Aquarell arbeitet. Dann widmen wir uns gemeinsam der Kultur.
Auf guten Radwegen strampeln wir bei sommerlich heißem Wetter in die Innenstadt.
Auf dem Altstadtmarkt fällt uns gleich das Rathaus mit seinem zweistöckigen offenen Kreuzgang auf. Gegenüber steht die gotische Kirche St. Martini und gleich daneben das Gewandhaus mit seinem farbenprächtigen Tor. Es wird als eines der schönsten Renaissancegebäude in Niedersachsen gerühmt. Ursprünglich war es ein Kaufhaus.
Bald darauf stehen wir auf dem Burgplatz vor dem Wahrzeichen der Stadt, dem Löwen von Braunschweig, den Heinrich der Löwe 1166 stiftete. Es ist die erste Skulptur dieser Art nach der Römerzeit.
Wir bewundern hier allerdings nur eine Kopie. Das Original ist im Museum, das in der Burg Dankwarderobe untergebracht ist. Hier residierten seit dem Mittelalter über Jahrhunderte die Braunschweiger Herzöge.
Der Romanischer Dom ist in seinen Grundzügen seit der Zeit Heinrichs des Löwen gleich geblieben. Im 14. und 15. Jhd. Jhd. wurde er allerdings um drei gotische Seitenschiffe erweitert.
Aus dieser Zeit stammen auch einige ungewöhnlich gedrehte Säulen.
Die Secco-Malereien aus dem 13. Jhd. im Altarraum müssten dringend restauriert werden.
Ein riesiger Bronzeleuchter steht vor dem Altar.
In einer Seitenkapelle entdecken wir das hölzerne Imervard-Kreuz aus 1150. Es gilt als eine der bedeutendsten romanischen Skulpturen auf deutschem Boden.
Heinrich der Löwe und seine Gattin liegen in de Krypta begraben, die voller Särge steht.
Schon seit dem 16. Jhd. ist dieses Gotteshaus protestantisch.
Braunschweig wurde im 2. Weltkrieg stark zerstört. Einiges wurde wieder aufgebaut.
Ganz zum Schluss - kurz bevor es schließt - schleppen wir uns noch ins Herzog-Anton-Ulrich-Museum und freuen uns, dass der hiesige Vermeer „Das Mädchen mit dem Weinglas“ zu Hause ist und nicht bei der großen Ausstellung, die derzeit in Amsterdam stattfindet. Klaus freut sich auch über ein besonders schönes Selbstbildnis von Giorgione. Und „Die Familie“ von Rembrandt, eines seiner letzten Werke, nehmen wir auch noch mit.
Jetzt sind wir rechtschaffen müde und froh, nach Hause zu kommen. Abends lässt die Hitze des Tages endlich nach. Der Sommer ist nun endgültig da.
31 km
Mo, 12. Juni
In der Früh nehmen wir uns Zeit für ausgedehnte Waschungen, weil wir hier unseren Wassertank auffüllen können.
Bevor wir die Stadt endgültig verlassen, müssen wir unbedingt noch am Happy-RIZZI-House vorbeifahren. Das bunte zeitgenössische Gebäude stammt vom US-amerikanischen Künstler James Rizzi. Es besteht aus neun Blöcken, deren Fassaden im Stil von Pop-Art gestaltet sind. Die Motive sind fröhliche Gesichter aber auch Herzen, Augen Sterne und Vögel.
Außerdem fahren wir - völlig unerwartet - am Residenzschloss aus dem 19. Jhd. vorbei- klassizistisch halt.
Nun geht es aber endlich weiter nach HILDESHEIM. Wir waren ja vor 14 Jahren schon einmal dort, aber damals war die ottonisch-vorromanische Kirche St. Michaelis völlig eingerüstet. Klaus freut sich schon sehr darauf, sie endlich in voller Pracht sehen zu können. Das ist ja eines der Traumziele aus seiner Jugendzeit. Wir sind auch wirklich sehr berührt. Sie ist einfach wunderschön. Sehr beeindruckend ist die bemalte Holzdecke im Mittelschiff. Das große Taufbecken aus Bronze stammt aus dem frühen 13. Jhd.
1033 wurde die dreischiffige Basilika geweiht. Sie gilt als Meisterwerk frühmittelalterlicher Baukunst.
Es ist Mittag, und wir beeilen uns, auf unseren Stellplatz zu kommen. Aus Erfahrung wissen wir, dass die tollen Plätze sehr bald voll werden.
Um ca. 13h kommen wir an. Wir werden heute am Huhnsensee schlafen. Eine halbe Stunde später ist kein Platz mehr frei.
Wir machen Siesta während der größten Mittagshitze und radeln am Nachmittag auf schönen Radwegen entlang des Baches „Altes Wasser“ in die Innenstadt.
Der Dom geht in seinen Anfängen geht er auf das Jahr 850 zurück. Sein heutiges Erscheinungsbild erhielt er im 11. Jhd. Später wurden er durch gotische Seitenkapellen erweitert. Der Vierungsturm passt eigentlich nicht dazu. Kein Wunder, er stammt aus der Barockzeit.
Der Innenraum wirkt sehr harmonisch. Die barocke Ausgestaltung wurde nach dem Krieg offenbar nicht erneuert. Sofort fallen die riesigen runden Messingleuchter auf, die von der Decke hängen. Sie haben bestimmt einen Durchmesser von fünf Metern.
Die reich skulptierte Christussäule aus Bronze aus dem 11. Jhd. ließ Bischof Bernward eigentlich für St. Michaelis anfertigen. keine Ahnung, warum sie hier gelandet ist.
Aber wo sind die wunderbaren bronzenen Bernwardstüren? Wahrscheinlich werden sie gerade aufpoliert. Immerhin haben wir sie bei unserem letzten Besuch gesehen.
Der Kreuzgang - samt seinem 1000-jährigen Rosenstock - hat den Krieg unversehrt überstanden, während der restliche Dom stark zerstört war.
St. Michaelis und Dom gehören zusammen zum World Heritage.
Wir strampeln weiter durch die Stadt und freuen uns über ein Wiedersehen mit der Figur des Huckup. Er soll das schlechte Gewissen versinnbildlichen, das einem Dieb im Nacken sitzt.
Nun wollen aber auch noch auf dem in den 1980er-Jahren wieder aufgebauten historischen Marktplatz unsere Erinnerung auffrischen. Hier stehen das Rathaus und einige prachtvolle, reich verzierte Häuser. Das bekannteste ist das Knochenhauer-Amtshaus. Einst war es das Gildehaus der Fleischer.
Wir haben’s gesehen, und nun geht es ab nach Hause, wo ein großer Karfiol auf uns wartet.
Es wird langsam dunkel. Der See spiegelt das letzte Licht der untergegangenen Sonne.
Das ist sooo romantisch. Wir machen noch einen kleinen Spaziergang.
62 km
Di, 13. Juni
Es geht endgültig in den Norden. Die Landschaft wird immer flacher.
Heute legen wir HANNOVER an die Leine. Ach nein, die liegt immer schon dort.
Nach dem Sport: Kieser-Training folgt die Kultur: Sprengel-Museum-
Herr Sprengel und seine Gattin haben der Stadt Hannover 1969 ihre umfangreiche Kunstsammlung geschenkt. Es werden Werke des 20. und 21. Jhd. gezeigt.
Die Entdeckung der Sammlung ist Glenn Brown. Wir sind sehr beeindruckt.
Natürlich sind wir wieder mit den Fahrrädern unterwegs. Besonders hübsch ist der Radweg durch einen Park, der Leine entlang.
Weiter geht es in die Innenstadt, vorbei am den „Göttinger Sieben“, einer Skulpturengruppe, die die sieben Göttinger Professoren darstellt, die 1837 gegen die Aufhebung der liberalen Verfassung im Königreich protestierten. Sie wurden deshalb entlassen und einige von ihnen des Landes verwiesen. Jacob Grimm war auch dabei.
Das berührende Denkmal steht vor dem Niedersächsischen Landtag.
Neben der gotischen Marktkirche steht das Alte Rathaus aus dem 15. Jhd. Es gefällt uns besonders gut, viel besser als das riesige klassizistische Neue Rathaus.
Es ist sehr heiß, und unser Interesse erlahmt, also kehren wir zum Auto zurück.
Wir beschließen, bevor wir die Stadt endgültig verlassen, einen kleinen Umweg zum Schloss Herrenhausen zu machen. Das Barockschloss lässt uns ziemlich kalt, und ein Blick in die Gärten ist uns durch eine hohe Mauer verwehrt. Dafür müssten wir ein Ticket kaufen. Wir entscheiden uns dagegen. Da loben wir uns halt unser Schloss Schönbrunn mit dem frei zugänglichen Park.
Zu unserem heutigen Bauern sind es noch ca. 50km, die ich samt und sonders verschlafe.
Wie dankbar bin ich Klaus, dass er uns immer wieder gut ans Ziel bringt.
In Ahburs Schüne (= Scheune des Anbauern) in MARKLOHE finden wir unseren Stellplatz, und im Selbstbedienungs-Kühlschrank steht noch ein Stück selbst gebackenen Apfelkuchen. Das hat sich mein wackerer Fahrer redlich verdient.
Wir sind froh, dass es langsam ein bisschen kühler wird, und wir uns erholen können.
96 km
Mi, 14. Juni
Wir haben uns den Wecker auf 7h gestellt, um in der Früh, wenn es noch nicht so heiß ist, ein Stück des Wegs zurückzulegen.
Wir fahren heute Richtung Oldenburg und weiter. Wir bringen ein paar Kilometer auf der Autobahn hinter uns.
Bald sind wir im Landkreis FRIESLAND. Zu den Ostfriesen kommen wir erst morgen.
Der Campingplatz am Königssee in NEUENBURG ist sehr angenehm.
Wir genießen den sonnigen Nachmittag unter unserer Markise mit WLAN, während die Waschmaschine läuft. Es gibt viel zu recherchieren, und Klaus plant unseren Ausflug auf eine der Ostfriesischen Inseln.
146 km
Do, 15. Juni
Den Vormittag verbringen wir auf dem Campingplatz.
Klaus betätigt sich kreativ. Er malt ein Bild. Und ich putze. Das nenne ich Rollenverteilung.
Ein kurzes Bad im Königssee, und dann geht es endgültig an die Nordsee.
Nicht nur die Sprache hat sich verändert - manche Aufschriften sind plattdeutsch - sondern auch die Häuser. Backsteingebäude herrschen vor.
Plötzlich wird vor unserer Nase die Straße hochgeklappt- auf dem Ems-Jade-Kanal queren einige große Boote.
Um 13h kommen wir auf dem Stellplatz in CAROLINENSIEL an und ergattern wieder einmal den letzten freien Platz.
Viele Ortsnamen haben hier die Endung „Siel“. Wie wir aus der Wikipedia erfahren, ist ein Siel ein verschließbarer Gewässerdurchlass in einem Deich.
Morgen wollen wir auf WANGEROOGE übersetzen, die östlichste der Ostfriesischen Inseln. Auf das Wattenmeer freuen wir uns schon besonders.
Nach der Mittagspause machen wir uns auf den Weg zum Hafen, um Tickets für die Fähre zu kaufen. Dieser Weg entpuppt sich als ziemlich langer Fußmarsch.
Als wir endlich das richtige Gebäude gefunden haben, müssen wir erfahren, dass wir morgen zwar hinüberfahren können, aber erst Ende der nächsten Woche wieder zurück. Die Fähre verkehrt tidenabhängig. „Wenn kein Meer da ist, können wir nicht fahren“, erklärt uns die Dame am Schalter lapidar.
Wir sind enttäuscht und machen uns auf den Rückweg. Immer wieder fliegen kleine Flugzeuge über unsere Köpfe hinweg. Eine Blitzidee: „Vielleicht können wir fliegen“. Wir finden den Flugplatz in HARLESIEL.
Meine Idee lässt sich wirklich in die Tat umsetzen. Die Preise sind moderat. Der ganze Spaß ist kaum teurer als die Fähre. Wir buchen ein wenig aufgeregt. Ich bin noch nie mit so einer kleinen Maschine geflogen.
Richtig beschwingt wandern wir nach Hause.
47 km
Fr, 16. Juni
Kurz nach 9h radeln wir zum Flughafen. Unsere Klappis schließen wir am Fahrradständer an und hoffen, dass sie am Abend noch da sein werden.
9h40 Start der Maschine, die sieben Passagiere befördern kann. Fünf Minuten später landen wir bereits in WANGEROOGE, und unser „Inselabenteuer“ kann beginnen.
Klaus beruhigt mein flight shaming. Er meint, so ein kurzen Flug ist ökologisch gesehen nicht schlimmer, als die Fahrt mit der Fähre.
Wir sind auf der zweitkleinsten der bewohnten Inseln. Sie ist nur knapp 8km2 groß. Sie hat die Form eines liegenden Seepferdchens, also sehr lang gestreckt und schmal. 8,5km ist sie lang und 1,2 bzw. 2,2km breit.
Große Teile von Wangerooge liegen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, von der globalen Erwärmung ist es also langfristig bedroht.
Meer und Wind halten den Sand immer in Bewegung. Über Jahrhunderte wurde er im Westen abgetragen und im Osten wieder angelandet. Und so wandert die Insel mit der Hauptströmungsrichtung nach Osten, und zwar um ca. 4 Meter pro Jahr. Das ist enorm viel. Der große Westturm war früher der Mittelpunkt des alten Inseldorfes, das in der Silvesternacht 1854 untergegangen ist. Die Bewohner mussten wiederholt ihre Behausungen nach Osten verlegen.
Mittlerweile wurde der Kopf des „Seepferdchens“ durch Küstenschutz-Bauwerke befestigt, um so etwas in Zukunft zu verhindern.
Hauptsächlich besteht die Insel aus Sand, den „Außengroden“ und den „Innengroden", das sind Salzwiesen und Marschland und natürlich dem Dorf. Ca. 1300 Menschen leben hier. Autos gibt es keine. Das Verkehrsmittel der Wahl ist hier das Fahrrad. Manchmal sieht man elektrisch betriebene Kleintransporter für die Geschäfte und Restaurants.
Eine Schmalspurbahn verkehrt vom Hafen ins Dorf. Die Strecke ist ganze 3km lang.
Es gibt hier auch zwei Leuchttürme, einen Golfplatz, einen Fußballplatz, eine kleine Backstein-Kirche und auch eine Schule für 60 Kinder, in der jahrgangsübergreifend und fächerübergreifend unterrichtet wird, und die bis zur mittleren Reife führt.
Es muss tatsächlich sehr idyllisch sein, hier zu leben.
Wir befinden uns im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und müssen auf unseren Wanderungen auf den vorgegebenen Wegen bleiben.
Wir genießen es, barfuß durch den weichen Sand zu gehen und die Zehen von der Nordsee überspülen zu lassen.
Nun queren wir die Insel. Dabei nehmen wir einen einen Überstieg über die Düne und landen schließlich bei den Salzwiesen. Sie werden immer wieder von Meerwasser überflutet. Dadurch lagert sich Salz im Boden ab. Die Pflanzen, die hier wachsen und teilweise wunderschön blühen, sind an diese Bedingungen angepasst, und bilden den Lebensraum für viele Insektenarten, die von ihnen abhängig sind. Insgesamt leben ca. 2000 Tierarten in den Groden.
Der Name der Insel leitet sich aus dem altgermanischen „Wanga“ für Wiese und dem friesischen „Oog“für Insel ab. Das ist hier also die „Wieseninsel". Wahrscheinlich sind die großen Flächen der Salzwiesen gemeint.
Klaus hat sein Teleobjektiv dabei. Er interessiert sich vor allem für die Vögel.
Besonders hübsch sind die Austernfischer mit ihren roten Schnäbeln. Einer von ihnen ist bei unserer Landung ganz frech vor dem Flugzeug hergelaufen.
Auf dem romantischen Seelenpfad wandern wir nun ins Dorf. Wir gehen auf einem schmalen Weglein durch Felder von lila und weiß blühenden Heckenrosen- wie der Prinz bei Dornröschen. Auf Tafeln werden Gedichte und Lieder vorgestellt, die mit dem Inselleben zu tun haben. Ganz unerwartet geht es noch durch ein keines Föhrenwäldchen.
Wir lesen, dass 1863 die ersten Häuser der Insel gebaut wurden. Im 2. Weltkrieg wurde sogar hier einiges zerstört. Die Insel wurde aber schon im 14. Jhd. das erste Mal urkundlich erwähnt.
Der Hunger treibt uns schließlich auf die Touristenmeile mit vielen Geschäften und Restaurants. Wir haben Glück und finden im Lokal unserer Wahl auch auch vegane Gerichte auf der Speisekarte.
Das Fotomotiv, das uns bis jetzt noch gefehlt hat, finden wir auch hier, den Strand mit den Strandkörben. Es sind aber keine Badenden im Wasser zu sehen. Es ist durch den Wind zu kühl. Und gerade dafür sind diese Körbe ideal, weil sie durch ihre seitlichen Wangen den Wind abhalten. Manche Leute sitzen voll bekleidet darin. Andere sonnen sich im Badegewand.
Wir sind über 11 km marschiert und haben die Insel gut abgearbeitet. Auf gut Glück fragen wir auf dem Flughafen nach, ob ein früherer Rückflug möglich ist, und erfreulicherweise fliegen wir eineinhalb Stunden früher als geplant. Das ist fein, weil wir heute Abend noch ein paar Kilometer mit den WoMo machen wollen.
Nach der Landung erwarten uns unsere Räder unversehrt.
Zurück auf dem Stellplatz sprechen uns Camping-Nachbarn an. Sie haben unsere Bromptons gesehen und zeigen uns ihre, die sie auf E-Bikes nachgerüstet haben. Wir machen Probefahrten und sind begeistert. So könnten wir unsere geliebten Klappis behalten, die so gut in die WoMo-Garage passen, und hätten doch E-Bikes. Wir gekommen sogar einen Prospekt mit.
Unsere Reise geht nun in normalen Bahnen weiter.
Nach ca. 27 km erwartet uns in SCHORTENS-GRAFSCHAFT bei unserem heutigen „Bauern“ schon wieder ein Highlight. Das FairHandelshaus ist ein gut sortierter veganer Bioladen mit Café. Vieles kann man auch unverpackt kaufen. Wir fühlen uns in unserem Element.
Das Motto des Ladens passt auch gut:
Wie lange bist du schon vegan?
Seit ich denken kann.
Also seit deiner Geburt?
Nein, seit ich denken kann.
Die herrlichsten selbst gebackenen Kuchen lachen uns an. Da müssen wir einfach zuschlagen. Ein Paar in unserem Alter betreibt den Laden. Wenn wir den späteren Flieger genommen hätten, wäre bei unserer Ankunft bereits alles geschlossen gewesen.
Was wir heute auch noch gelernt haben: Der Gruß „Moin“ hat nichts mit „Morgen“ zu tun. Man setzt ihn den ganzen Tag über ein.
Wir hatten einen wunderschönen Tag.
28 km
Sa, 17. Juni
Wir verlassen dieses kleine Paradies, das das liebenswerte ältere Paar geschaffen hat.
Auf der Weiterreise kommen wir immer wieder durch Ortschaften, die „groden“ als Teil ihres Ortsnamen haben. Wir wissen ja schon, dass das „Salzwiese“ heißt.
Bretteleben ist die Landschaft hier. Die norddeutsche Tiefebene liegt hier 4m unter dem Meeresspiegel. Die höchsten Erhebungen sind die schwarzweißen Kühe, die unter den zahllosen Windrädern weiden. Getreidefelder sehen wir keine. Die Viehwirtschaft überwiegt eindeutig.
Die Fachwerkhäuser sind hier fast alle mit unverputzten Backsteinen ausgemauert. Viele sind mit Reet gedeckt. Die Dächer sind tief heruntergezogen.
Zu unserer Überraschung führt unser Weg mit einer Fähre über die Weser.
Weiter geht es in die FREIE HANSESTADT BREMEN.
Unser erstes Ziel ist das Kieser-Studio in VEGESACK am nordwestlichen Stadtrand.
Nach unserem Training suchen wir uns einen Platz fürs Auto und radeln ins Stadtzentrum.
Was wir von der Stadt bisher gesehen haben, hat uns nicht besonders gefallen. Eine graue, eher gesichtslose Großstadt hat sich uns geboten. Allerdings gibt es viele Radwege, die auch gut angenommen werden, wie eigentlich überall in Deutschland.
Im 2. Weltkrieg wurden viel von der Stadt zerstört. Einzig die Gebäude um den Marktplatz blieben verschont. Hier stehen viele reich verzierte Bürgerhäuser, das Rathaus im Stil der Backsteingotik und der Weserrenaissance und der Dom.
Vor dem Rathaus steht der fast 10m hohe Bremer Roland aus 1404. Er garantiert als Repräsentant des Kaisers das Marktrecht. Sein Original-Kopf befindet sich vorsichtshalber im Museum. Rathaus und Roland gehören seit 2004 zum UNESCO-Welterbe.
Neben dem Dom stehen seit 1953 die Bremer Stadtmusikanten aus Bronze, das heimliche Wahrzeichen der Stadt.
Mehr brauchen wir von Bremen nicht zu sehen.
Wir radeln zurück zum WoMo, wobei wir noch am Haus der Stadtwaage vorbei kommen. Es stammt aus dem 16. Jhd. Eine große goldene Waage ziert die Fassade.
Jetzt wollen wir nur noch zum Stellplatz in Vegesack, den Klaus schon in Wien ausgesucht hat. Schön ist das Areal nicht, aber das Übernachten kostet nichts. Wasser und Entsorgung können wir gegen Münzeinwurf bekommen.
129 km
So, 18. Juni
Das verhaltene Lob für diesen Stellplatz muss ich leider zurücknehmen. Der Automat, der uns Wasser für den Trinkwassertank spenden sollte. frisst unser Geld, gibt aber nichts her. Wir sind ja noch nicht ganz leer. Die nächsten Tage ist also Wasser sparen angesagt.
Die Autobahn führt uns nach BREMERHAVEN - ja das schreibt man tatsächlich mit „v“.
Auch diese Stadt gehört nicht zu NIEDERSACHSEN, sondern ist eine Exklave der FREIEN HANSESTADT BREMEN- obwohl sie über 50km entfernt ist. Die Bremer haben einen Hafen gebraucht, nachdem die Weser immer mehr versandet ist, und die großen Schiffe nicht mehr reinfahren konnten. Also wurde die Hafenstadt 1827 gegründet.
Unser WoMo-Stellplatz ist im Kaiserhafen, unmittelbar an der Mündung der Weser in die Nordsee.
Sehr friedlich ist es hier. Einige Schiffe liegen im Dock V und ein paar ältere Männer sitzen plaudernd am Ufer und angeln.
Wir holen unsere Räder aus der Garage und sehen uns in der „Havenwelt“ um. Dabei entdecken wir einen großen Segler, das Schulschiff Deutschland. Der Dreimaster liegt seit 1995 als schwimmendes Kulturdenkmal ganzjährig im Hafen. Es dient nunmehr als Hotel - man kann auch die Kaptänssuite mieten - und es finden Trauungen an Bord statt. Wir sehen junge Leute, die in voller Kletterausrüstung in der Takelage herumturnen.
Daneben ankert der historische Dampf-Eisbrecher „Wal“. Er ist voll funktionstüchtig, und man kann als Passagier Törns auf ihm buchen.
Das ATLANTIC Hotel Sail City sieht man schon von Weitem. Geformt wie ein Segel sieht aus wie das Burj al Arab in Dubai. Das ist wohl kein Zufall.
Im Hafen überwiegen moderne und ultramoderne Bauten, aber dazwischen entdecken wir hin und wieder auch einmal ein altes Gebäude aus Backstein.
Auf dem Deich mit den Wellenbremssteinen kann man spazieren und die Aussicht auf die Weser genießen, die hier fast schon Nordsee ist.
Unser Ziel ist allerdings das 2009 entstandene Klimahaus. Es erinnert mich in seiner Form am ein Schlauchboot. Ich nehme an, dass das beabsichtigt ist. Schließlich sitzen wir ja alle im selben Boot.
Zuerst sehen wir uns die Sonderausstellung Power2Change an und gewinnen Einblicke in Herausforderungen, Lösungswege und Forschungsprojekte der Energiewende. Verschiedene Themenbereiche werden gezeigt und es gibt Mitmach-Stationen. Es wird klar, dass wir alle gefragt sind, mitzuwirken.
Dann gehen wir auf eine Reise rund um die Welt, entlang des Längengrades 8° Ost 34’, auf dem auch unser Startpunk Bremerhaven liegt.
Die großartig gemachte Tour führt uns durch die verschiedenen Klimazonen der Erde. Wir schwitzen und frieren und lernen ganz verschiedene Menschen kennen, die aus ihrem Alltagsleben erzählen und uns mitteilen, wie das vorherrschende Klima ihr Leben beeinflusst.
Wir folgen den Spuren von Axel Werner, der mit Kindern in Kamerun tanzte, die Sahara durchquerte und mit den Yupik in Alaska auf die Jagd ging.
1. Station der Reise ist Isenthal in der Schweiz.
Die Gletscher schmelzen, und immer mehr Gerölllawine donnern ins Tal.
2. Station: Seneghe in Sardinien. Durch die immer höheren Temperaturen und die Trockenheit kommt es zu immer häufigeren Waldbränden. Diese Station nehmen wir aus der Perspektive der Insekten wahr.
3. Station: Niger. Eine alte Tuareg-Frau erzählt von vielen Tieren und Pflanzen, die es in ihrer Jugend in der Wüste gab. Eines der wichtigsten Themen für die Menschen in der Sahelzone ist Wasser. Aus einem Brunnen, der 70m in den Wüstenboden gegraben ist, holt ein Tuareg-Mädchen Wasser zum Kochen- wie lange noch?
4. Station: In Kamerun streifen wir durch den nächtlichen Regenwald und wagen uns über eine wackelige Hängebrücke über einen Fluss. Im Dorf trommelt der Regen auf die Blechdächer.
Doch die einzigartige Pflanzenvielfalt des Regenwaldes ist bedroht. Der Klang der Kettensäge ertönt.
5. Station: Antarktis, wo die einzigen Farben, die man zu sehen bekommt unterschiedliche Schattierungen von Weiß sind. Die Temperatur in der Ausstellung beträgt jetzt -6°. Das ist verdammt kalt, wenn man direkt aus dem Regenwald kommt. So fühlt sich der Sommer außerhalb der Neumayer-Station des Alfred-Wegener-Instituts an. Die unterschiedlichsten Forscher leben und arbeiten hier für mehrere Wochen. Die gewaltigen Landeismassen des Südpols sind ein gewichtiger Faktor für das Klimageschehen auf dem ganzen Globus.
6. Station: Samoa. Türkisblaues Meer, weißer Sandstrand und Palmen. In diesem Kleinod in der Südsee hat der Klimawandel bereits starke Spuren hinterlassen. Vieles deutet darauf hin, dass das Paradies für immer verloren ist. Häufige starke Wirbelstürme, Sterben der Korallen und der von ihnen abhängigen Fische wegen der zu hohen Wassertemperatur. Dadurch gehen wichtige Bollwerke gegen die Sturmfluten verloren.
Tokelau, das aus drei tropischen Korallenatollen besteht, gehört zu den entlegensten Orten der Erde. Dank dreier Solarkraftwerke, die von Neuseeland betrieben werden, versorgt sich der Ort seit 2012 vollständig klimaneutral. Das hat das Leben auf den Atollen revolutioniert.
7. Station: Alaska. Die Yupik leben in der Weite der Tundra. Das Leben der Kinder spielt sich im Zwiespalt zwischen Tradition und Moderne ab.
Rund um die Beringstraße hat sich die Zeit der Meereisbedeckung seit 1980 um etwa 30 Tage verkürzt. Die Yupik haben daher einen Monat weniger Zeit zum Jagen als sie es noch vor 40 Jahren hatten.
8. Station: Hallig Langeness in Deutschland. Die Bewohner leben auf künstlich angelegten Hügeln, sogenannten Warften, die Schutz vor Hochwasser bieten. Bei Niederwasser ist die Hallig mit einer Lorenbahn zu erreichen. Die Bewohner werden durch Fähren versorgt. Aber der Wasserspiegel steigt.
9. Station: Bremerhaven. Wir sind zurück. Aber auch in Mitteleuropa gibt es immer häufiger Wetterextreme.
Wir sind sehr beeindruckt und berührt und nachdenklich, als wir das Klimahaus verlassen.
Die letzten Meter unserer „Weltreise“ legen wir auf unseren Klappis zurück und radeln zurück zu unserem Häuschen und in unsere - noch - heile Welt.
Die übrige Stadt finden wir nicht so interessant. Wir ruhen uns lieber aus und malen und recherchieren.
Als es dunkel wird, machen wir uns nochmals auf den Weg. Klaus hofft auf spektakuläre Fotos.
Während wir auf fotowirksame Beleuchtung warten, entdecken wir auf der anderen Seite des Hafenbeckens den großen Backstein-Leuchtturm aus dem 19. Jhd. Er war damals ein repräsentatives Zeichen der aufstrebenden Hafenstadt. Er ist immer noch in Betrieb und das Wahrzeichen der “Havenwelt“. Durch eine Bombe wurde das dazugehörige aufwändig gestaltete Wohn- und Dienstgebäude 1944 völlig zerstört.
Wir radeln auch noch ein wenig in die Stadt hinein, um uns eine uninteressante Fußgängerzone und eine neugotischer Backsteinkirche anzusehen.
Um 22h ist es noch immer ziemlich hell. Wir sind doch schon einiges weiter im Norden als zu Hause, und die Sonne geht hier später unter.
Kurz vor 23h gehen endlich die Lichter an, und die Fotoapparate so einiger Touristen klicken.
Für uns geht’s nach Hause und ins Bett.
54 km
Mo, 19. Juni
Wir fahren weiter Richtung Hamburg. Und schon bald sind wir wieder in NIEDERSACHSEN.
Als Übernachtungsplatz dient uns ein Ferienhof in STADE-HAGEN, wo wir uns zwischen Ponys, Kaninchen und Fasanen häuslich niederlassen. Hier können wir WC und Dusche benutzen und unseren Trinkwassertank füllen.
Nach einem sehr erholsamen Nachmittag schauen wir uns am Abend einen Film an.
„Anderswo, allein in Afrika“: Anselm hat allein mit seinem Fahrrad den afrikanischen Kontinent von unten nach oben durchquert. „Wow“, können wir da nur sagen. Er hat es überlebt, obwohl es manches Mal recht knapp war.
Viele Bilder sind uns sehr vertraut, weil wir ja auch schon in Wüste und Steppe unterwegs waren- nicht so lange, nicht allein, immer mit professioneller einheimischer Führung …
Mir fällt auf, was für einen unglaublichen Luxus wir auf unserer Reise haben.
88 km
Di, 20. Juni
Was ich in letzten Nacht gelernt habe: Fasane krähen ähnlich wie Hähne, und sie schlafen in der Nacht nicht.
Wir fahren durchs „ALTE LAND“. Der Name geht auf die Besiedlung durch niederländische Kolonisten zurück.Das Gebiet verfügt seit dem Mittelalter über eine Selbstverwaltung. Typisch für diese Gegend sind reich verzierte Zweiständerhäuser mit geometrisch angeordneten weißen Fachwerkbalken, die mit Backsteinen aufgefüllt sind.
Traditionellerweise wir dim Alten Land Obstbau betrieben.
"Da geht’s nach BUXTEHUDE“. Das gibt’s also wirklich.
Wir fahren durch den Elbtunnel und die FREIE UND HANSESTADT HAMBURG heißt uns mit einem Kieser-Studio willkommen.
Nach dem Training suchen wir unseren Stellplatz für die nächsten zwei Nächte auf. Wir werden in St. Pauli wohnen, ganz in der Nähe der „Tanzenden Türme“ am Beginn der Reeperbahn. Bezeichnend ist die geknickte Fassadenkonstruktion aus Glas und Stahl.
Direkt neben dem Parkplatz ragt ein grauer Betonkoloss auf, ein ehemaliger Flakturm. Der Bunker St. Pauli ist mit seiner mehrstöckigen Dachbegrünung mittlerweile zum Wahrzeichen für das junge Hamburg geworden.
Wir wandern zu Fuß zu den Landungsbrücken. Sie sind eine große Anlegestelle auf schwimmenden Pontons für Fahrgastschiffe am Nordrand des Hamburger Hafens. Sie entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts und mussten nach ihrer Kriegszerstörung in den 1950er Jahren teilweise neu errichtet werden. Ihre Bögen erinnern mich entfernt an unsere Stadtbahnbögen. In einem von ihnen entdecken wir das Hard Rock Café und gönnen uns in der Rooftop Bar einen Mittagssalat. Über den Baumwipfeln erscheint der Kopf Bismarcks, der auf uns herabblickt. Das gewaltige Denkmal aus dem Beginn des 20. Jhd. ist über 34m hoch.
An der Brücke 2 besteigen wir eine Barkasse und machen eine Hafenrundfahrt.
Der Tidenhub ist hier im Hafenbecken ca. 3m 80 hoch. Es hängt von den Gezeiten ab, in welche Fleete (= Wasserläufe) die Boote hineinfahren können.
Wir sehen riesige Kräne, die große Containerschiffe entladen. Länger als 48 Stunden steht so ein Frachter nicht im Hafen. Früher hatten die Matrosen bis zu zwei Wochen Zeit für Landgang. Heutzutage ist nichts mehr mit Seefahrer-Romantik.
Wir schauen auf ein mehrstöckigen Kreuzfahrtschiff hinauf und passieren eine Werft, die Luxusyachten für die Superreichen baut.
Der 1934 aus Backsteinen gebaute Altonaer Fischmarkt interessiert mich weniger. Auch der sonntäglicher Frühschoppen mit Life-Musik kann mich nicht locken.
Zuletzt fahren wir noch in die Speicherstadt, der weltgrößte historische Lagerhauskomplex. Sie wurde zwischen 1883 und 1927 gebaut und gehört mittlerweile zum UNESCO-Welterbe. Die Backsteinbauten stehen auf tausenden Eichenpfählen- wie in Venedig. Die Gebäude haben jeweils auf der einen Seite Anbindung ans Wasser, auf der anderen an die Straße. Zu ihren Aufgaben gehört noch heute die Qualitätsprüfung der Waren und der Versand von Proben. Einige Teppichhändler sind hier untergebracht und mehrere Museen.
Ganz zum Schluss haben wir noch einen guten Blick auf die Elbphilharmonie. Das 2016 endlich fertiggestellte Konzerthaus wurde auf den Fundamenten des Kaiserspeichers aus 1963 errichtet. Die Glasfassade erinnert an Segel, Eisberge, Wellen oder einen Quarzkristall. Ich finde das Gebäude wunderschön, obwohl es eher wegen seiner Bauverzögerung und seiner Kostenexplosion negative Schlagzeilen gemacht hat. Wir haben jedenfalls für morgen Konzertkarten und freuen uns schon sehr.
Nebenan wird heftig für die neue Hafencity gebaut. Da steht auch das Denkmal von Klaus Störtebeker, des legendenumwobenen Piraten aus dem 14. Jhd. An dieser Stelle wurde er angeblich hingerichtet. Heute kennt man nur noch das nach ihm benannte Bier.
Wir sind nun wieder zu Fuß unterwegs und spazieren in Richtung Zentrum. Der Turm der gotischen ehemaligen Hauptkirche St. Nikolai grüßt uns. Im Krieg wurde die restliche Kirche zerstört und der Turm blieb als Mahnmal stehen. Bei unserem letzten Besuch der Stadt waren wir da oben.
Auch die barocke evangelische Hauptkirche St. Michaelis bekam Bombentreffer ab. Aber der sogenannte „Hamburger Michel“ wurde vollständig restauriert.
An der Kleinen Alster steht das imposante Rathaus. Es wurde im 19. Jhd. im Stil der Neorenaissance gebaut. Den Innenhof mit dem Hygieia-Brunnen finde ich ganz nett. Das restliche Gebäude und das gesamte Ambiente hat uns schon bei unserem letzten Besuch nicht besonders gefallen. Der Heinrich Heine aus Bronze ist offenbar ganz unserer Meinung. Er schaut ziemlich verzweifelt aus. Vielleicht aber auch, weil man ihm auch in dieser Stadt wegen seiner jüdischen Herkunft übel mitgespielt hat.
Wir sind auf dem Jungfernstieg gelandet. Hier gönnen wir uns eine Pizza, bevor wir an der Binnenalster entlang nach Hause gehen.
Es ist heiss, und wir sind müde. Da wird uns vor unserer Bildschirmarbeit ein eisgekühlter Kaffee gut tun.
Klaus fasst zusammen. Er meint, seine Meinung habe sich aufs Neue gefestigt, dass „sich Hamburg schwer tut mit Charisma“.
67 km, mit einigen zusätzlichen Kilometern in den Beinen
Mi, 21. Juni
Ein Gewitter mit heftigem Sturm hat heute Nacht gewütet.
Am Morgen ist alles wieder trocken, und die Sonne lacht, als wäre nichts gewesen. Es weht allerdings ein starker Wind, den wir als durchaus angenehm empfinden.
Heute holen wir wieder die Drahtesel hervor. Der Blick auf die Binnenalster ist doch recht hübsch. Vom anderen Ufer her grüßen der Nikolaiturm und das Rathaus und der alte Dampfer „St. Georg“ aus 1876 stößt echten Dampf aus. Er wird immer noch als Ausflugsschiff verwendet. Übrigens sehe nicht nur ich wie die „Windsbraut“ aus, sondern auch das moderne Kunstwerk von Hans Martin Ruwoldt, das neben mir steht- keine Verwechslungen bitte.
Der Haupt-Programmpunkt für heute ist der Besuch der Kunsthalle. Der traditionelle Schwerpunkt der Kunstsammlung befindet sich im alten Bau aus 1869, das 19. Jahrhundert, die Alten Meister und die Moderne. Der heutigen Kunst ist ein eigener, moderner Gebäudekomplex gewidmet. Ca. 3 Stunden wandern wir durch die höchst umfangreich Ausstellung. Wir sind ziemlich geschlaucht, als wir endlich wieder ins Freie und dann wieder in die Pedale treten, um uns zu Hause im WoMo wieder etwas zu erholen.
Schließlich wartet heute ja noch ein besonderes Abendprogramm auf uns - eines der Highlights unserer Reise - ein Konzert in der Elbphilharmonie, ein Chopin-Abend mit dem jungen Pianisten aus Kanada, Jan Lisiecki.
Ab Abend tauschen wir also unsere verschwitzten Klamotten und die staubigen Sandalen gegen unser Galagewand, für das Klaus zu Hause eine spezielle Aufhänge in unserer WoMo-Garage gebaut hat. Solchermaßen gestylt und eingestimmt spazieren wir los.
Wir sind sehr hingerissen, von der Musik, dem Pianisten und auch vom Haus selbst.
Wir müssen in den 15. Stock hinauf, teils mit einer langen Rolltreppe, teils zu Fuß. Für Leute, die nicht so gut zu Fuß sind, gibt es auch Lifte.
Von oben hat man eine atemberaubende Aussicht. Klaus meint, dass man nur etwas Abstand zwischen sich und die Stadt bringen muss, dann ist die ja doch recht schön.
Die Konzertsäle sind schwingungsfrei aufgehängt. Die einzelnen Ränge scheinen zu schweben. Die Gestaltung der Wände ist ganz auf eine exzellente Akustik ausgerichtet.
Ich freue mich sehr, dass auch Klaus begeistert ist.
"Den Abend lassen wir dann in St. Pauli ausklingen“ ;-) Dort steht nämlich unser WoMo auf dem Parkplatz.
0 km
Do, 22.Juni
Wir verlassen die Stadt nicht, ohne noch einmal unser nun schon vertrautes Kieser-Studio aufzusuchen. Die Trainer erkennen uns sogar wieder. Wien hat eben überall, wo wir hinkommen, einen ganz besonderen Klang.
Wir tauschen im Baumark noch unser Gasflasche. Dann verlassen wir Hamburg und reisen nach SCHLESWIG-HOLSTEIN ein.
Auf der Autobahn geht es nach Nordwesten. Neben uns breiten sich die Elbmarschen aus.
Hier irgendwo ist die niedrigste Stelle Deutschlands. Unser Höhenmesser zeigt jedenfalls -4m an. Hoffentlich bekommen wir davon keine Depression ;-)
Auf einer riesigen Brücke überqueren wir den Nord-Ostsee-Kanal. Er verbindet seit 1895 auf ungefähr 100km die Nordsee (Elbmündung) mit der Ostsee (Kieler Förde).
Unseren heutiger Landvergnügen-Stellplatz finden wir in MARNE beim Kalle-Bäcker.
Wir stehen in einer grünen Wiese und können blitzsaubere sanitäre Anlagen samt Dusche benutzen. Und morgen früh warten frische Brötchen auf uns.
109 km
Fr, 23. Juni
Nach dem Luxus einer Dusche und nachdem wir ein Brot mit „Wattkruste“ erstanden haben, machen wir uns wieder auf den Weg.
Ein riesiger Windpark breitet sich vor uns aus. Der ganze Horizont wird von ihm beherrscht.
Auch alte Windmühlen aus früheren Zeiten kann man noch da und dort sehen.
Und auch wir spüren den Wind angenehm auf unserer Haut. Er mildert die heißen Temperaturen erheblich.
Im kleinen Städtchen MELDORF gibt es einen Dom im Stil der Backsteingotik. Vor einigen hundert Jahren reichte das Meer bis hierher. Der hohe Kirchturm diente als Orientierungsmarke für die Seefahrt. Mittlerweile wurde das Wasser durch Deiche um ca. 5 km zurück gedrängt. Gerade haben wir einen alten Deich passiert.
Im Inneren der Kirche fällt besonders das prächtige hölzerne Chorgitter auf, das mit der Kanzel eine Einheit bildet. Dieser prachtvollen Ausstattung verdankt das Gotteshaus seine Spitznamen „Dom“. Eine Bischofskirche war es nie.
Wir kommen gerade zum Ende eines Orgelkonzerts. Danach sitzen die Besucher in Sitzecken zusammen und trinken Tee. Es gibt auch einen Basteltisch für Kinder in der Kirche- typisch evangelisch, auf sympathische Art.
Die Gegend, in der wir uns gerade befinden, heißt DITHMARSCHEN. Hier gab es im 15./16. Jhd. eine Bauernrepublik. Der Meldorfer Dom war in dieser Zeit der Hauptversammlungsort, wo weitreichende Entscheidungen getroffen wurden.
Bei der Weiterfahrt fallen uns immer Ortsnamen mit der Endung „koog“auf. Damit ist das Marschland hinter den Deichen gemeint.
Mit Interesse nehmen wir die - für uns ganz fremde - Landschaft wahr. Nach der Fahrt durch das Marschland, wo vereinzelt Schafe und Kühe weiden, sehen wir nun den neuen, aktuellen Deich vor uns, dessen neueste Version aus dem Jahr 1986 stammt. Eine Schleuse, die Siel genannt wird - den Ausdruck kennen wir von unserem Ausflug nach Wangerooge - bildet einen Wasserdurchlass, sodass sich diesseits des Deiches ein kleiner See mit einem Hafen für Segelschiffe gebildet hat.
Wir steigen die Stufen auf den ca. 7m hohen grasbewachsenen Deich hinauf. Auf der Landseite ist er ziemlich steil, auf der Wasserseite geht er sehr flach ins Wattenmeer über. Es ist Ebbe und wir waten barfuß durch den Schlick- eine durchaus sinnliche Erfahrung, aber auch eine sehr schmutzige. Viele winzige Strandkrabben-Babys laufen neben uns her. Oben auf dem Damm kann man auf einem asphaltierten Weg spazieren oder radfahren. Bankerln laden zum Ausrasten ein. Alles wirkt so friedlich. Aber wehe, wenn eine Sturmflut tobt.
Ich muss an den „Schimmelreiter“ denken, eine höchst dramatische Novelle von Theodor Storm, die ungefähr hier im 18. Jhd. spielt. Damals war der Deichbau eine sehr schwere, mitunter lebensgefährliche Arbeit. Maschinen standen ja noch keine zur Verfügung.
Nach der Eindeichung wurde das ehedem vegetationsfreie Watten rasch von der Pflanzenwelt erobert. Offene Sand- und Schlickflächen sind heute auf die schmale Wasserwechsel-Fläche beschränkt.
Wir fahren weiter nach LUNDEN, einer kleinen Gemeinde mit kaum 2000 Einwohnern. Sie hat aber ein ganz besondere Sehenswürdigkeit zu bieten. Die St. Laurentiuskirche aus dem 12. Jhd. ist vom sogenannten Geschlechterfriedhof umgeben. Bauernfamilien, die über Macht, Geld und Einfluss verfügten, ließen sich hier ihre unterirdischen Grüfte bauen. Nicht Kurfürsten oder Könige regierten die unabhängige Bauernrepublik Dithmarschen, die von 1447 bis 1559 bestand, sondern mächtige Bauerngeschlechter. Steinerne Stelen und Grabplatten markieren diese Gräber. Es handelt sich hier um die letzte geschlossene Anlage ihrer Art.
Zu erwähnen ist auch der Sühnestein des Peter Swyn. Auch er gehörte dem Rat der 48 Regenten an, geriet aber zwischen die Fronten der meist blutigen Fehden der mächtigen Familien und wurde heimtückisch ermordet.
Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird auf diesem Friedhof besonders deutlich. Die Reichen hatten kostbare Grüfte mit verzierten Grabplatten. Allerdings fehlt jegliche Erinnerung an das Leben und den Tod der Armen. Nur die Reichen konnten sich der Nachwelt in Erinnerung rufen. Bis ins 19. Jhd. wurden die Armen namen- und spurlos in einem eigenen Bereich des Areals verscharrt.
Die Kirche selbst ist mehrmals abgebrannt und die teils wertvolle Innenausstattung ging jedes Mal in Flammen auf. Nur der vierzigarmige Kronleuchter hängt immer noch von der Decke.
Groß angelegte Renovierungsarbeiten wurden 2017-2021 durchgeführt.
Wir haben viel gelernt, weil wir von all dem bis jetzt noch nie etwas gehört hatten.
Unser heutiger Übernachtungsbauer ist nicht weit von hier entfernt, im Preiler Koog. Der Platz, der uns zugewiesen wird, liegt im endlosen Grün, das durch einsame Dämme und einspurige Straßen durchbrochen wird. Auf einem frisch abgeernteten Feld stehen wir „In the Middle of Nowhere“ als einsames weißes Punkterl. Die Drohne kann das nur bestätigen. Weit weg am Horizont zeigt sie uns das Meer.
In der Zeitung lesen wir von Temperaturen über 35° in Österreich, die in der Nacht nicht unter 24° absinken. Hier bei uns ist es angenehm kühl. Dazu trägt auch der ständige Wind bei.
72 km
Sa, 24. Juni
Wir überqueren die Eider und verlassen Dithmarschen. Nun sind wir wirklich in NORDFRIESLAND und auf dem Weg nach HUSUM, der Stadt von Theodor Storm.
Die Boote im Hafen stecken im Schlick. Das sieht nicht so pittoresk aus. Aber so ist eben der ständige Wechsel von Ebbe und Flut.
Uns interessiert vor allem das Nordfriesland Museum, das im Nissen-Haus untergebracht ist.
Es geht auf die Stiftung Ludwig Nissens zurück, der 1872 als Sechzehnjähriger von Husum nach New York auswanderte und dort als Diamantenhändler zu Wohlstand und Einfluss kam.
Das Museum zeigt eindrucksvoll, wie sich die Küstenbewohner mit dem Deichbau und anderen Küstenschutzmaßnahmen gegen den „blanken Hans“ - eine friesische Bezeichnung für die Bedrohung durch die Nordsee - wehren. Die schweren Sturmfluten der vergangenen Jahrhunderte - die letzte war 1962 - werden auf einer großen Tafel aufgelistet. Anhand von Projektionen werden die jeweiligen Auswirkungen anschaulich gezeigt.
Die Entwicklung des Deichbaus vom 12. Jhd. bis heute finden wir sehr interessant. Die ältesten Dämme waren nur 1,5m hoch. Viele Männer haben daran mit Schaufeln gearbeitet.
Natürlich wird auch die Zukunft mit einem ansteigenden Meeresspiegel bedacht. Man vermutet, dass er hier an der Nordsee um 30cm bis 1m10 steigen wird. Die „Klimadeiche“ wurden und werden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gebaut. Sie haben eine Basis von 11m, sind 9m hoch und haben Ausbaureserven.
Einen besonderen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die Rungholt-Sage, die Detlef von Liliencron in der Ballade „Trutz, blanke Hans“ so dramatisch erzählt hat.
RUNGHOLT wird als reiche, gottlose Stadt geschildert, die durch eine Sturmflut vernichtet wurde. In ihrer Hybris glaubten die Bewohner, sie könnten dem „blanken Hans" trotzen.
Die Geschichte hat einen historischen Kern. Die Gemeinde Rungholt versank tatsächlich im 14. Jhd. im Meer. Seit dem 17. Jhd. wird nach Überresten gesucht. Einige Funde - vor allem Keramikscherben - werden im Museum ausgestellt. Unter Gelehrten ist der genaue Standort allerdings umstritten.
Nun freuen wir uns auf die traditionelle Lorenbahn, die von LÜTTMOORSIEL auf die 1,9km2 große Hallig NORDSTRANDISCHMOOR hinüberführt. Hier sind wir froh, dass gerade Ebbe ist. Die Schienen sind nämlich nur bei Niederwasser befahrbar. Gerade ist ist ein Wagen losgefahren- perfekt für ein Foto. Die Bahn wird mit Solarstrom betrieben. Man kann auf die ca. 3km entfernte Insel hinüberschauen und sieht einige Warften, auf denen Gehöfte stehen. Auch Windräder drehen sich dort. So eine Hallig wird bis zu 35 Mal im Jahr überflutet. Dann ragen nur mehr die Warften aus dem Wasser. Etwa 20 Menschen leben aktuell dort. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt beim Küstenschutz, als Landwirte und betreiben Gästehäuser. Es gibt auch eine eigene Halligschule für vier Schüler.
Zum Einkaufen muss man ans Festland. Vorräte sind also notwendig, falls die Lorenbahn nicht fahren kann. Bei Sturm und Kälte kann der Kontakt zur Außenwelt tagelang unterbrochen sein.
Klaus möchte unbedingt eine der Vogelbeobachtungshütten aufsuchen. Durch Schlitze kann man hinausschauen bzw. das Teleobjektiv durchstecken. Die Vögel nehmen das nicht wahr und fühlen sich ungestört. Wir sehen z.B. brütenden Haubentaucher, einige Austernfischer, Strandläufer, Kiebitze, Graugänse, usw. Die Fotos werden - wie immer - toll.
Zwischen tausenden Windrädern fahren wir nun zu unserem Übernachtungsplatz in SPRAKEBÜLL. Der Hofladen hat leider schon geschlossen.
85 km
So, 25. Juni
Nach dem Frühstück fahren wir ca. 20km nach NIEBÜLL zur Auto-Verladestation für den Zug nach SYLT.
Die Fahrkarten haben wir ja bereits im Internet gekauft.
Wir sind zu früh dran, aber da fast nichts los ist, können wir schon um eine Stunde früher einchecken.
Die Eisenbahn nimmt uns sozusagen Huckepack. Wir bleiben im Auto sitzen.
Die Fahrzeuge stehen hintereinander in einem Flachwagen, der an die Lok angehängt ist.
Ein gutes Stück führt die ca. 40 km lange Trasse über Land und dann über den 11km langen Hindenburgdamm durch das Watt - es ist gerade Ebbe - hinüber nach WESTERLAND. Wir donnern mit 100km/h dahin. So eine hohe Geschwindigkeit sind wir gar nicht gewohnt.
Auf dem Damm verkehrt ausschließlich die Eisenbahn. Auch normale Personenzüge fahren auf dieser Strecke. Mit einer Fähre, die von Dänemark ablegt, kann man auch auf die Insel gelangen, und natürlich gibt es auch einen Flughafen.
Wir haben - ebenfalls online - einen Campingplatz gebucht.
Während Waschmaschine und Trockner laufen, schauen wir uns in der unmittelbaren Umgebung um. Wir besteigen eine Düne und blicken auf den weißen Strand hinunter.
Nachdem unser Kasten wieder voller sauberer Wäsche ist und nachdem wir das „Sylt“-Pickerl auf die WoMo-Rückwand geklebt haben, setzen wir uns auf die Bromptons und strampeln nach Norden. Sylt ist ein Radlerparadies. Es wird massenhaft gestrampelt, zumeist mit ausgeborgten E-Bikes.
Wir meiden die Schickimicki-Szene. Daher lassen wir die Hauptstadt Westerland und sein „Little Las Vegas“ rasch hinter uns. Uns interessieren vor allem die Landschaft und die kleinen Dörfer, deren Häuser meist reetgedeckt sind.
In WENNINGSTEDT liegt DENGHOOG, das interessanteste der drei Hühnengräber der Insel. Es stammt aus der Jungsteinzeit, ist daher ca. 5000 Jahre alt.
Wir kriechen hinein. Die unterirdische Kammer wird von Findlingen gestützt. Die hat der Gletscher während der Saale-Eiszeit vor ca. 120.000 Jahren aus Schweden hierher transportiert.
Ein Stückchen weiter - in KAMPEN - besteigen wir die Uwe-Düne. Sie ist mit ihren ca. 52,5m die höchste natürliche Erhebung auf Sylt. Namensgeber war ein Landvogt mit diesem Vornamen.
Von hier oben hat man eine schöne Aussicht auf die Insel und aufs blaue Meer. Manchmal kann man von hier aus bis nach Dänemark sehen.
Auf Holzstegen wandern wir nun hinüber zum Roten Kliff. Die ca. 30m hohe Steilküste sieht mit etwas gutem Willen wirklich rötlich aus.
Den Leuchtturm „Langer Christian“ sehen wir von Weitem.
Es wird Zeit, uns auf den Heimweg zu machen.
Den ganzen Tag war es ziemlich heiß, aber ein stetes Lüftchen hat es erträglich gemacht.
Am Abend lässt es sich Klaus nicht nehmen, sich kurz in die Meeresfluten zu stürzen.
24 km + ca. 40km mit dem Zug + ca. 20 km mit dem Fahrrad
Mo, 26. Juni
Für heute ist schlechtes Wetter angesagt, daher werden wir - ausgerüstet für alle Eventualitäten - das Bus-System der Insel testen. Gleich gegenüber von unserem Campingplatz ist eine Haltestelle.
Wir fahren nach Norden und erkunden den Hafen von LIST bei Waschelregen und Gewitter. Der nördlichste Punkt unserer Reise zeigt uns Souvenirläden in der Alten Tonnenhalle- hier wurden früher Seezeichen gelagert. Wir haben das alles sehr bald abgearbeitet. Spazierengehen macht bei dieser Witterung keinen Spaß. Also beschließen wir, nach Hause zu fahren und uns trocken zu legen.
Wir sind aufgewärmt, der Regen hört auf, und die ersten Sonnenstrahlen zeigen sich. Unser Unternehmungsgeist erwacht wieder. Die steife Brise stört uns nicht. Die sind wir hier im Norden mittlerweile gewohnt.
Der nächste Bus ist unserer. Diesmal erforschen wir den Osten. In MUNKMARSCH steigen wir aus, und wandern auf einem sehr schönen Weg am Strand entlang und durch Rosenbüsche nach KEITUM, das wohl malerischste Dorf im „Syltiversum“. Alte reetgedeckte Friesenhäuser - teilweise aus dem 18. Jhd. - sind hier ganz normal. In den Vorgärten blüht es üppig. Wir kommen uns vor, wie in der Filmkulisse eines Märchenfilms.
Am Abend kommen wieder unsere Fahrräder zum Einsatz. Wir haben im Internet ein Lokal in WESTERLAND entdeckt, das auch vegane Gerichte anbietet.
Wie sich herausstellt, haben wir da einen guten Griff getan. Die jungen Leute bemühen sich um Saisonalität, Regionalität und einen besonders guten Service. Das Essen ist exquisit und köstlich. Übrigens, der Wein ist nur für uns regional. Er kommt aus dem Burgenland ;-)
0 km
Di, 27. Juni
Ein Highlight der Insel fehlt uns noch, das Kliff von MORSUM (nicht zu verwechseln mit „Mordor“ aus „Herr der Ringe“). 14 km hin und dann wieder zurück sind uns bei starkem Wind mit unseren Klapprädern ohne Motor zu weit. Wir fahren also mit dem WoMo ganz in den Osten der Insel- „dorthin, wo der Hase die Beine wegsteckt“, meint Klaus.
SYLT sieht in unseren Augen wie ein Hase aus, dessen Ohren nach vor gebogen sind. Er hat ein Bäuchlein, und beide Beine streckt er nach vorne weg. Dabei stützt er sich auf einen langen Känguru-Schwanz. Eben den werden wir nicht besuchen. Er ist ca. 25 km lang und besteht fast ausschließlich aus Sandstränden. Ganz an der Südspitze liegt ein kleines Dorf, das auch nicht malerischer sein kann als das, was wir bis jetzt gesehen haben.
Das Morsum-Kliff befindet sich an der Wattseite der Insel. Es ist ein nationales Geotop. Im Zuge der bereits erwähnten Saale-Eiszeit wurden hier vor mindestens 120.000 Jahren verschiedenfarbige Erdschichten vom Gletscher komprimiert und in senkrechte Lage gepresst. Die See spülte diese wieder frei, sodass im Kliff in schräg laufenden Farbabstufungen von weiß bis rotbraun erkennbar sind. Das Kliff ist auch reich an Fossilien.
Am östlichstem Spitzel von Sylt würde die Insel immer kleiner werden. Daher wird dort eingedeicht, also Küstenschutz betrieben.
An der Nordseite dieser östlichen Halbinsel gibt es hingegen „Anwachs“. Immer wieder wird Sand hingeschoben und durch häufige Überflutungen entstehen Salzwiesen. Dort wird die Insel also größer.
Wir machen eine schöne Rundwanderung und genießen es sehr, uns so richtig durchblasen zu lassen. Die Meeresluft hier im Norden soll ja besonders gesund für die Lungen sein.
Klaus fotografiert eifrig Vögel. Die Jungen der im Kliff nistenden Uferschwalben sind besonders süß. Auch ein Robbenbaby entdecken wir.
In einiger Entfernung sehen wir den Autozug vorbeifahren, auf den wir heute Nachmittag auffahren werden, und am Horizont erkennen wir das Festland.
Zuletzt kommen wir noch an großen Getreidefeldern vorbei. Nur hier in Morsum ist der Anbau möglich.
Wir fahren zurück zum Campingplatz und nutzen dort noch die Infrastruktur, ehe es endgültig Zeit wird, Abschied zu nehmen.
Wir sind richtig froh, dass wir hergekommen sind. Sylt hat uns viel besser gefallen, als wir dachten. Ich habe mir die Insel auch kleiner vorgestellt. Sie ist 38 km lang und 12,6 km breit. Mit ihrer Fläche von ca. 99km2 ist sie die größte nordfriesische Insel.
Fast die Hälfte der ca. 18.000 Einwohner leben in Westerland.
Die Landschaft hier ist wunderschön und die Dörfer malerisch. Es gibt insgesamt wenig Touristentrubel, die Strände sind fast leer. Von der Schickeria haben wir überhaupt nichts wahrgenommen.
Einziger Wermutstropfen: Alles ist sehr teurer.
Ein Einheimischer hat uns erzählt, dass nirgends die Immobilienpreise so hoch sind wie hier, und dass so ein Dach aus Riedgras enorm teuer ist. Die Feuerversicherung sei auch kaum bezahlbar. „Unsereins könnte sich gerade einmal eine Bushaltestelle leisten“, meint er. Die sind nämlich auch auf diese Weise gedeckt. Früher hatten die Armen solche Dächer, heute können sich das nur die Reichen leisten- oder man muss das Erbe erhalten.
Das Erscheinungsbild dieser Friesenhäuser gehört eben auch zum Kapital dieser Insel.
Um 16h sind wir bereits samt WoMo auf dem Zug, der uns nach NIEBÜLL hinüberführt, und um ca. 17h stehen wir auf unserem altbewährten Platz vor dem Hofladen in SPRAKEBÜLL, wo wir schon am Samstag vor unserer Überfahrt geschlafen haben.
Grundsätzlich ist mit einem Blick auf die Karte festzustellen, dass Nordfriesland weiter im Osten liegt als Ostfriesland. Ob das der Otto Waalkes auch weiß?
51 km + ca. 40 Zugkilometer
Mi, 28. Juni
Ein neuer Abschnitt unserer Reise beginnt, die Rückfahrt. Wir werden uns dafür allerdings einen Monat Zeit lassen.
Heute fahren wir nach SCHLESWIG. Eine ganz wichtige Bedeutung für diese Stadt hat die Schlei.
Sie ist eigentlich kein Fluss, sondern ein Meeresarm der Ostsee. Sie besteht größtenteils aus Brackwasser.
Die Schlei erstreckt sich mit einer Länge von 42 km von ihrer „Mündung“ durch das Schleswig-Holsteinische Hügelland bis in die Stadt. Ihre Breite schwankt beachtlich. Oft meint man, eine See vor sich zu haben. Hier in Schleswig ist die Schlei bis zu 4,3 km breit. Für das Stadtbild ist das sehr attraktiv. Sie Wasserfläche glitzert in der Sonne, und Ausflugsschiffe und Segelboote schaukeln im kleinen Yachthafen.
Nachdem wir unser WoMo abgestellt haben, radeln wir am Ufer entlang. An Sehenswürdigkeiten kann und die Stadt nicht viel bieten.
Das Herzogschloss Gottorf liegt auf einer Insel. Die ehemalige Burg hat sich über die Jahrhunderte zu einem Barockschloss gewandelt.
Beim St.-Petri-Dom, dessen Anfänge aus dem 12.Jhd. stammen, haben sich im Laufe der Zeit viele Baustile vermischt. Der neugotische Turm aus dem 19. Jhd. wurde bald sanierungsbedürftig. Daher wurde er in den 1950er-Jahren durch Stahlbetonkonstruktionen gesichert. Die Ziegeln, mit denen sie verblendet wurden, hielten nicht lange und wurden wieder entfernt. Wir finden diese „Metallstreifen", die sich an den Ecken des Turms bis ganz hinaufziehen ziemlich irritierend.
Das Innere gefällt uns auch nicht. Barockisierungen sind nun mal meist nicht nach unserem Geschmack. Erwähnenswert ist einzig der Bordesholmer Altar, ein reich geschnitzter Flügelaltar aus dem 16. Jhd.
Jetzt sind wir schon schon auf die Wikingerstadt HAITHABU gespannt.
Die Besichtigung beinhaltet einen Waldspaziergang, der uns besonders gefällt.
Im 8.-11. Jhd. n. Chr. gab es hier, am der schmalsten Stelle zwischen Nord- und Ostsee, eine bedeutende Handelsstadt zwischen Skandinavien und dem europäischen Festland. Diese besondere Lage ermöglichte einen intensiven Austausch und Handel zwischen den Regionen. Die
zunächst kleine Siedlung entwickelte sich zur bedeutendsten Stadt Nordeuropas.
Der dänische König Harald Blauzahn spielte im 10. Jhd. eine besondere Rolle. 970 ließ er sich unter dem Druck des römisch-deutschen Kaisers Otto I taufen und führte in Dänemark offiziell das Christentum ein. Die Bluetooth-Verbindung für elektronische Geräte ist nach ihm benannt, als Hommage an seine Fähigkeit, mehrere Fürstentümer zu einem großen Königreich zu vereinen.
Der moderne Nord-Ostsee-Kanal entstand erst sehr viel später etwas weiter südlich. Vor ein paar Tagen haben wir ihn gequert und werden es morgen wieder tun.
2005-2008 entstand unter Mitwirkung lokaler Handwerksbetriebe auf der Grundlage von archäologischen Befunden sieben Wikingerhäuser mit detailgetreuer Inneneinrichtung. Auch die Zäune, Wege und Entwässerungskanäle sind dieser Zeit nachempfunden.
Sogar eine Landebrücke gibt es. Die Wikinger waren ja besonders deshalb so erfolgreich, wie sie begnadete Schiffbaumeister waren. Man hat an diesem Standort auch die Reste eines Kriegsschiffs gefunden, dass laut Radiokarbonmethode genau in diese Zeit passt.
Es wurde also ein Ausschnitt dieser frühstädtischen Siedlung rekonstruiert. Handwerkliche Produktion und Warenaustausch dominierten den Alltag. Größere Stallbereiche fehlten.
Die umliegenden Ortschaften belieferten die Bewohner von Haithabu mit Lebensmitteln, Brenn- und Bauholz, usw. und bekamen als Gegenleistung die begehrten Waren aus fernen Ländern, die in der Wikingerstadt umgeschlagen wurden. Sie konnten auch ihre eigenen handwerklichen Produkte gut verkaufen.
Für unsere Augen sind reetgedeckte Häuser ja spätestens seit Sylt sehr vertraut.
Wir zeigen großes Interesse am Stand einer „Wikingerfrau“ in historischer Gewandung, die über dem offenen Feuer Fladenbrote bäckt, die man sich dann nach Lust und Laune belegen kann- köstlich.
Im Museum bekommen wir weiterführende Informationen und sehen uns einen Film an, von dem ich leider mehr als die Hälfte verschlafe.
Nun besuchen wir noch die Befestigungsanlage DANEWERK, die bereits im Frühmittelalter eine Ausdehnung von fast 30 Kilometern erreichte. In der Eisenzeit und der Wikingerzeit verfügten die Bauarbeiter ja nur über einfache Werkzeuge. Umso beeindruckender ist die Leistung. Es wurden über 100.000 Tonnen Heideerde und Kies bewegt, vermutlich in Körben. 30.000 Eichen wurden für die Holzpalisaden gefällt. Für die Feldsteinmauer wurden 10 Millionen großer Steine von der Küste in die Hauptstadt gebracht, vermutlich in kleinen Ochsenkarren.
Das Danewerk sicherte an der schmalsten Stelle zwischen Ost- und Nordsee das Grenzland zwischen Skandinavien und Mitteleuropa und wurde von den dänischen Königen über Jahrhunderte hinweg immer weiter ausgebaut.
Obwohl die Wälle ca. 9m hoch waren, wurde HAITHABU, das zu seiner Blütezeit fast 1500 Einwohner zählte, zerstört- vermutlich von Harald dem Harten, dem König von Norwegen, der ständig Plünderzüge gegen Dänemark führte. Die überlebenden Bewohner zogen sich auf das andere Schleiufer zurück und gründeten SCHLESWIG, das allerdings nie die Bedeutung von Haithabu erlangte.
Die Wallanlagen wurden übrigens noch bis in den 2. Weltkrieg als Verteidigungsanlagen genutzt.
Man kann einige dieser Wälle besteigen.
Der Handelsplatz HAITHABU und die Wallanlage des DANEWERKS gehören mittlerweile zum Unesco-Welterbe.
Am Parkplatz des Danewerk-Museums, das sich originellerweise in der Gemeinde DANNEWERK befindet, können wir gratis übernachten.
65 km
Do, 29. Juni
Unser Übernachtungsplatz eignet sich sehr gut zum Ausschlafen, Malen und Lesen.
Erst um 11h machen wir uns wieder auf den Weg- und zwar nach KIEL, schnurstracks ins Kieser-Studio.
Auf einer großen Brücke haben wir den Nord-Ostsee-Kanal überquert.
Wenn wir beim Trainieren aus dem Fenster blicken, haben wir direkt vor unseren Augen ein Schiff, eine riesige Fähre.
So eine Aussicht hatten wir noch nie. Wir sind also hier im Hafen- an der Ostsee.
Nach dem Sport schauen wir uns das per Fahrrad näher an. Der Kieler Hafen ist ein bedeutender Import-Export-Hafen und der größte Passagierhafen Deutschlands.
Nun radeln wir noch in die "Altstadt", die nur noch aus dem imposanten Backsteinbau des Rathauses besteht. Und selbst das wurde erst zu Beginn des 20- Jhd. errichtet. Der Turm erinnert uns an den Kampanile von Venedig. Eine neugotische Kirche gibt es auch noch.
Im 2. Weltkrieg wurden 80% der Stadt zerstört und die Kieler Förde - eine in der Eiszeit entstandene schmale Meeresbucht - war der größte Schiffsfriedhof der damaligen Zeit.
Wir radeln am Kleinen Kiel - einem seichten Binnenwasser - entlang zurück zu unserem WoMo. Hier gibt es schöne Parkanlagen mit altem Baumbestand. Da kann man gemütlich am Wasser sitzen und die Seele baumeln lassen.
Der Name „Kiel“ kommt übrigens vom niederdeutschen Wort für „Keil“. Damit ist höchstwahrscheinlich die Förde gemeint.
Das Park4Night-App empfiehlt uns für heute Nacht einen Bauernhof in NEUBÜHREN, der angeblich alles bietet, was das Herz begehrt.
Niemand ist zu sehen. Wie wir erfahren, ist die Bäuerin auf Urlaub. Wir stellen uns einfach vors Haus. Immerhin haben wir den Wasserschlauch gefunden.
72 km
Fr, 30. Juni
Wir haben heute kaum etwas vor.
PLÖN hat einen netten Ortskern mit Markt, aber mit dem WoMo haben wir hier nichts verloren. Das ist viel zu eng für uns.
Das frisch renovierte Herzogsschloss aus dem 17. Jhd. ist wirklich schön und imposant. Im 19. Jhd. war es die offizielle Sommerresidenz des dänischen Königs.
Wir brechen zu unserem nächsten Übernachtungsbauer auf, denn wir haben heute überhaupt nichts vor.
Das ändert sich aber schlagartig. Immer wieder haben wir in den letzten Tagen Plakate mit Hinweis auf die Karl-May-Festspiele in BAD SEGEBERG gesehen.
Eine spontane Idee keimt in beiden von uns unabhängig voneinander auf. Und kurz darauf sitzen wir im original Westerndorf und mampfen vegane Frikadellen mit Fritten, um gestärkt genug für die Nachmittagsvorstellung von Winnetou I, Blutsbrüder zu sein.
Wir amüsieren uns bei diesem Spektakel köstlich, besser als erwartet. Die Stunts der Kampfszenen sind gut choreographiert. Die Hauptdarsteller sind wahre Artisten und gute Reiter. Feuer und Rauch tragen zur Dramatik bei, und einige komische Szenen dürfen natürlich auch nicht fehlen. Alles in allem war es eine nette Abwechslung.
Das war jetzt also unser freier Tag.
Unser Bauer für heute ist nicht weit entfernt in GARBEK.
Der Hof Taterborn ist ein richtiges Gut mit einem Herrenhaus. „Verarmter Landadel“ stellt sich der Hausherr vor.
Alles ist wohl gepflegt und blitzsauber, auch Klo und Dusche, die extra für die Landvergnügen-Camper bereitstehen.
Unser WoMo steht in der Wiese mit anderen sympathischen Camper-Kollegen.
94 km
Sa, 1. Juli
Frisch geduscht geht es weiter nach LÜBECK.
Eigentlich sind wir nur wegen des Kieser-Studios hergefahren. Es ist in einem ehemaligen Speicherschuppen des Hafens untergebracht und bietet eine schöne Aussicht auf die Stadttrave, auf der Ruderer unterwegs sind, die ja auch trainieren.
Die Stadt ist aber so großartig, dass wir doch noch eine Runde mit den Fahrrädern drehen. Im strömenden Regen rutschen wir über nasses Kopfsteinpflaster. Wir haben zwar unser Regengewand an, aber trotzdem ist uns das bald nicht mehr lustig.
Zu Hause legen wir uns trocken und beschließen, auf der Weiterfahrt noch einen kleinen Umweg zum Holstentor zu machen. Schön, es wiederzusehen.
Wir waren schon zweimal in dieser Stadt, und ganz sicher bei besserem Wetter.
Noch ein Blick hinüber zu den Salzspeichern und zum Dom, und wir lassen es für diesmal bei der Mini-Besichtigung bewenden und fahren weiter nach RATZEBURG.
Überraschenderweise finden wir einen Parkplatz im Zentrum und können uns zu Fuß auf Besichtigungstour machen- bei leichtem Nieselregen immerhin.
Der Backstein-Dom ist völlig eingerüstet. Man erkennt einen wuchtigen viereckigen Turm.
Innen allerdings freuen wir uns an der schlichten Schönheit.
Jetzt verstehen wir, warum dieses Bauwerk zum UNESCO-Welterbe gehört.
Wir wandeln auch durch den gotischen Kreuzgang mit seinen bunt bemalten Kreuzrippen und blicken auf den friedlichen Garten hinaus.
Heinrich der Löwe ließ die dreischiffige romanische Kirche bauen. Sein Löwe steht davor, eine Kopie des Löwen von Braunschweig.
Die Altstadt samt Dom liegen auf eine Insel im Ratzeburg See. Das hat durchaus Charme. Wo man auch ist, man sieht aufs Wasser. Außerdem gefallen uns die vielen Rosen und bunten Malven an den Straßenrändern.
Auf dem Markt stehen das Alte Kreishaus und die Alte Wache, beide aus dem 18. Jhd.
Wir haben unser Tagwerk vollbracht und reisen in MECKLENBURG-VORPOMMERN und damit in die ehemalige DDR ein. Hier regnet es auch.
Jetzt freue ich mich schon auf den Mostbauern, bei dem wir heute nächtigen wollen.
Nett ist es hier nicht, und der Most schmeckt uns beiden gar nicht. Der kaum bestückte Hofladen bietet auch sonst überhaupt nichts, was wir brauchen könnten. Wir wollen nicht unhöflich sein und beschließen, ihm trotzdem eine Flasche abzukaufen. Er wird richtig patzig und meint, das wäre viel zu wenig. Schließlich will er ja etwas an uns verdienen. Wir sollen ihm zusätzlich € 10,00 Euro geben.
Ich raune, „fahren wir woanders hin“ und Klaus stellt freundlich die Flasche zurück. Nichts wie weg hier- aber wohin?
Ganz in der Nähe, in ROGGENDORF, finden wir einen Stellplatz. Er bietet nichts und kostet nichts, aber wir fühlen uns hier wesentlich wohler.
88 km
So, 2. Juli
Die Landeshauptstadt SCHWERIN lockt uns.
Wir stellen das WoMo beim Schweriner See ab und radeln bei Sonne und Wind los.
Zunächst geht es vorbei am Marstall und weiter „Ui!“ zum Schloss. „Walt Disney schau oba!“
Was ist nur aus der guten alten slawischen Burg im Laufe der Jahrhunderte geworden? Jedenfalls erstrahlt sie jetzt in reinstem Barock. Die Türme und Türmchen sind frisch vergoldet.
Heute tagt hier der Landtag des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.
Ganz in der Nähe müssen wir über den Namen des Restaurants „zur Herzoglichen Dampfwäscherei“ schmunzeln.
Wir fahren weiter zum Dom, vor dem gerade ein Flohmarkt stattfindet.
Auf dem Platz steht auch das Rathaus, aber unser Blick wird unweigerlich von der Säule „Die Spur des Löwen“ aus 1995 angezogen. Die Bürger von Bardowick bilden ein langes Spalier und verneigen sich tief, allerdings in die andere Richtung, und zeigen Heinrich dem Löwen ihre blanken Hintern. Bardowick war nämlich ein bedeutendes Handelszentrum, bevor der Herzog Schwerin gründete und damit den Niedergang von Bardowick herbeiführte.
Ob sich diese historische Begebenheit aus dem 12. Jhd., die sogenannte „Bardowicker Gesäßhuldigung“, wirklich ganz genauso abgespielt hat, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Die Darstellung ist jedenfalls witzig und skurril.
Der Schweriner Dom ist eine sehr große Kirche der Backsteingotik. Ca. 150 Jahre wurde daran gebaut. Im Inneren wurden die mittelalterlichen Gemälde in den 1990er-Jahren wieder hergestellt. Überflüssiger Zierrat wurde bei dieser Gelegenheit aus der Kirche entfernt.
Jetzt interessiert uns noch die Schelfstadt. Der Name „Schelf“ kommt möglicherweise von „Schilf“. Ganz genau weiß man das allerdings nicht. Im Mittelalter gab es hier eine sumpfige Niederung. Also könnte die Theorie durchaus stimmen.
Heute ist das eine der beliebtesten Wohngegenden der Stadt. Ende der 1980er-Jahre hätte man die Siedlung beinahe dem Erdboden gleich gemacht. Heftige Proteste der Bürger haben das verhindert.
Anfang des 18. Jhd. wurde hier das Handwerkerviertel der Stadt angelegt. Kleine Fachwerkhäuser und kleine originelle Geschäfte findet man hier.
Die Schelfkirche ist eine der ganz wenigen Barockkirchen aus Backstein.
Und hier erwischt uns der Regen. Wir sind diesmal leider gar nicht dafür ausgerüstet. Also strampeln wir auf dem kürzesten Weg zurück zum WoMo. Wir haben ohnehin alles, was uns interessiert hat, gesehen.
Die nächste Station ist die Hansestadt WISMAR, laut Reiseführer die schönste Stadt an der Mecklenburgischen Ostseeküste.
Wir parken beim Altstadthafen und machen einen netten Spaziergang bei Sonne und Sturm, aber ohne Regen- wahrscheinlich, weil wir diesmal unsere Regenausrüstung dabei haben.
Unsere erste Station in dieser Stadt ist die Kirche St. Nikolai- Backsteingotik natürlich. Das Innere ist ein aufstrebender Raum von gewaltigen Ausmaßen. Einige Schätze aus der im Krieg zerstörten Marienkirche stehen herum.
Von dieser ehemaligen Kathedrale steht nur mehr der weithin sichtbare Turm. Die Umrisse der der ehemaligen Kirche werden mittels niedriger Ziegelmäuerchen angedeutet.
In der Nähe der Schweinsbrücke - mit den lustigen Skulpturen - stehen einige nette Bürgerhäuser.
Auf dem Marktplatz, einem der größten Norddeutschlands steht der Brunnen „Wasserkunst“ aus dem 16. Jhd. Er war Teil des ausgeklügelten Wasserversorgungssystems der Stadt, das schon im Mittelalter hervorragend funktionierte. Das Wasser wurde aus Quellen der Umgebung durch Holzröhren in einen Wasserkasten auf dem Marktplatz geleitet, und gelangte von hier zu den Häusern. An der Ostseite des Platzes steht das älteste Bauwerk der Stadt mit seinem auffälligen Staffelgiebel. Seit dem 19. Jhd. ist hier das Gasthaus „Alter Schwede“ untergebracht. Der Schwedenkopf gehört zu den Wahrzeichen Wismars. Daneben steht das „Wiener Wirtshaus“. Wir verzichten darauf, es auf seine Echtheit zu testen.
An der Nordseite des Marktplatzes steht das klassizistische Rathaus.
Jetzt wollen wir noch die Pfarrkirche St. Georgen anschauen. Auch sie wurde im 2. Weltkrieg stark zerstört. 1990 begann man mit dem Wiederaufbau der dreischiffigen Backsteinbasilika. Man hat schon viel geschafft. Aber es bleibt, besonders im Inneren, noch viel zu tun. Der Raum ist ganz leer, ohne jeden Zierrat. Es wirken nur die stark beschädigten Backsteinsäulen und der rote Terracottaboden. Vielleicht ist gerade deshalb die Akustik so hervorragend. Der Raum wird nicht mehr als Kirche genutzt. Konzerte und Theateraufführungen finden hier statt.
Der Fürstenhof war einst das Stadtpalais der mecklenburgischen Herzöge. Heute residiert hier das Amtsgericht. Das Gebäude wurde im 16. Jhd. im Stil eines italienischen Renaissance-Palazzos gebaut. Uns gefallen besonders die grinsenden männlichen und weiblichen Faune, die ihren Spaß zu haben scheinen.
Um die Heiligen-Geist-Kirche herum stehen die Gebäude des einstigen gleichnamigen Spitals. Der schlichte Bau besticht durch seine Wandmalereien und die bunt bemalte Holzdecke.
Diese Stadt hat was. Sie hat uns viel besser gefallen als Schwerin.
Ganz zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf das Wassertor aus dem 15. Jhd. Es war einst Teil der Stadtbefestigung. Bekannt wurde es auch als Drehort für den legendären Film „Nosferatu“ aus 1920.
Genug Kultur für heute. Wir fahren nun über einen Damm auf die kleine Insel POEL [pö:l]. Sie hat die Form eines „Backenzahns mit zwei Wurzeln“, meint Klaus. Ca. 6 km ist sie lang und ungefähr ebenso breit, ungefähr 2500 Leute wohnen hier. Wir suchen einen Übernachtungsplatz. In TIMMENDORF STRAND finden wir einen großen, voll ausgestatteten WoMo-Stellplatz.
Der weiße Leuchtturm ist weithin sichtbar.
Wir machen einen stürmischen Abendspaziergang zum Hafen und blicken zur Steilküste hinüber. Das Meer ist sehr aufgewühlt und wirkt auf mich irgendwie bedrohlich. Der Strand samt Strandkörben liegt verlassen da. Uns macht es Spaß, so richtig durchgeblasen zu werden.
94 km
Mo, 3. Juli
Etwas weiter nördlich von uns liegt die langgestreckte Halbinsel WUSTROW. Das einstige militärische Sperrgebiet ist für die Öffentlichkeit weiterhin nahezu tabu.
Zusammen mit einer anderen langen, schmalen Insel bildet sie eine Nehrung, durch die das Salzhaff entstanden ist. Es ist von der Ostsee fast abgetrennt. Der Salzgehalt ist sehr hoch.
Es ist hier ein einzigartiges Biotop entstanden- ein Landschaftsschutzgebiet.
Nun suchen wir das erste deutsche Seebad auf, HEILIGENDAMM an der nördlichen Ostseeküste. 1793 stieg hier der damalige Mecklenburger Großherzog als erster Badegast ins Wasser.
Strahlend weiße Villen und ein ebenso weißes Grand Hotel stehen am Strand. Sie sind wohl erst vor kurzem frisch hergerichtet worden, vielleicht zur 230-Jahr-Feier.
Wir spazieren bei angenehm warmen Temperaturen und Sonnenschein, aber heftigem Wind am Strand entlang. Niemand sitzt in den Strandkörben.
Wir fahren weiter nach NIENHAGEN zum Gespensterwald. In diesem Küstenwald stehen Buchen mit bleichen, hohen Stämmen. Durch den Seewind sind sie oft verformt und zeigen schlangenartig verdrehtes Geäst. Die Baumkronen setzen erst ganz weit oben an. Bei bestimmtem Licht oder Nebel sieht das alles gespenstisch aus. Wir wagen uns hinein und finden auch unbeschadet wieder heraus.
Bis jetzt ist der Tag ja sehr nett verlaufen, aber nun beginnt wieder der Ernst des Lebens: Wir fahren nach ROSTOCK ins Kieser-Studio.
Eine Stadtbesichtigung steht nicht auf unserem Programm. Unser Interesse an Kopfsteinpflaster und Backsteingotik ist etwas erlahmt.
Wir finden einen Parkplatz, von dem aus wir einen Fußmarsch von ca. zwei Kilometern zum Studio machen.
Ganz unerwartet kommen wir so an vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei: Backsteinkirchen natürlich, aber z.B. auch das Steintor aus der Renaissance, das einst ein Teil der Stadtbefestigung war.
Wie gut, dass die Kieser-Studios oftmals in den Stadtzentren zu finden sind.
Nach dem Training nehmen wir den Neuen Markt näher in Augenschein. Hier stehen der Dom, das spätgotische Rathaus mit seinen sieben Türmchen und dem eigenwilligen rosa Barockvorbau, das repräsentative Ständehaus im Stil des Historismus, aber auch einige nette, alte Bürgerhäuser mit Scheinfassaden. Einen modernen Blickfang stellt der Möwenbrunnen dar. Er zeigt vier dickbäuchige, nackte Götterfiguren aus Bronze, die alle etwas mit dem Meer zu tun haben. Neptun mit dem Dreizack erkennen wir sofort.
Da freuen wir uns richtig, dass wir doch noch etwas von der Stadt gesehen haben- eine schöne Überraschung.
Wir spazieren zum WoMo zurück und fahren an den Nordostrand der Stadt, zu unserem heutigen Landvergnügen-Schlafplatz.
Die „Küstenmühle“, die wirklich eine echte alte Windmühle zu bieten hat, ist eine Bio-Gärtnerei mit Hofladen. Heute ist er schon geschlossen, aber morgen früh werden wir ihn besuchen.
Auf dem Parkplatz stehen nun vier Wohnmobile, eines aus Belgien, eines aus Schweden, eines aus Deutschland und wir aus Österreich. So international hatten wir es auf dieser Reise noch nie.
Der Schwede ist wahrscheinlich mit der Fähre aus Trelleborg gekommen.
97 km
Di, 4. Juli
Der Hofladen verkauft nichts, was wir brauchen könnten. Die Gärtnerei ist nämlich gerade nicht in Betrieb. Das macht nichts. Wir sind ohnehin bestens versorgt.
Für heute haben wir einen Natur-Tag geplant. Wir fahren an der Ostseeküste entlang nach Norden. Vom Meer sehen wir allerdings überhaupt nichts. Baumreihen verstellen die Sicht.
Immer wieder kommen wir an alten Windmühlen vorbei. Die passen hervorragend zu dieser Witterung.
Ständig taucht auf Tafeln und in Ortsnamen der Ausdruck „Bodden“ auf. Wir machen uns im Internet schlau und lernen, dass es sich dabei um ein flaches, buchtartiges Küstengewässer handelt, das in der Eiszeit entstanden ist.
Der Name Bodden ist vermutlich niederdeutschen Ursprungs und bedeutet „Boden“ oder „Grund“, was sich auf die geringe Tiefe dieser Gewässer bezieht.
Bodden sind charakteristisch für diese Gegend hier. Typischerweise sind sie durch langgestreckte Inseln und Halbinseln vom offenen Meer abgetrennt und bilden Lagunen.
Rechts von uns liegt Marschland auf dem „verschiedenzottige“ Rinder grasen.
Wir lernen ein neues Verkehrszeichen kennen. Unser Zeichen für „Wildwechsel“ heißt hier „Otterwechsel“. Später sehen wir noch ähnliche Zeichen für Wildschwein und Igel. Ein totes Wildschwein liegt tatsächlich am Straßenrand!
Wir haben auf unseren Reisen übrigens auch schon Warnschilder für Elch, Puma, Känguru, Emu und natürlich Kröten gesehen. Über eine schmale Landenge gelangen wir auf die Halbinsel FISCHLAND-DARSS-ZINGST, die „schönste Deutschlands“, wie sie sich selbst nennt. Sie besteht größtenteils aus dem urwüchsigen Nationalpark „Vorpommersche Boddenlandschaft“, einer einzigartigen Naturlandschaft, in der Wind und Wellen die Küste immer wieder umformt. Ihre Lagunenlandschaft wird werbewirksam eingesetzt. Die Form erinnert mich ein bisschen an eine Fledermaus. Linker Flügel: FISCHLAND, Mitte: DARSS, Rechter Flügel: ZINGST.
Im ehemaligen Künstlerdorf AHRENSHOOP in FISCHLAND liegt der stimmungsvolle Schifferfriedhof. Die dazugehörige reetgedeckte Schifferkirche - ganz aus Holz - erinnert mich an ein umgedrehtes Boot. Ob das nur Zufall ist?
Vier Schiffsmodelle hängen von der Decke herab. Sie sollen Glaube, Liebe, Hoffnung und Frieden symbolisieren.
Im Ostseebad PREROW stellen wir das WoMo ab und holen die Fahrräder hervor. Man muss das ausnützen, wenn es gerade nicht regnet, und der Sturm einen nur beinahe umweht.
Wir radeln zu einem Leuchtturm in DARSS und wieder zurück.
Der ziemlich abenteuerliche Weg führt über Stock und Stein, durch Sand und über Wurzeln durch einen regelrechten Urwald.
Besagter Leuchtturm ist 35m hoch und steht seit 1848 hier. Er ist immer noch in Betrieb, aber seit den 1970er-Jahren wird er fernüberwacht. Die ehemaligen Dienstzimmer der Leuchturmwärter wurden zu einem Museum umgestaltet.
Mit durchgerittenem Popo kommen wir wieder nach Hause zurück. Immerhin sind wir fast 17km dahingehoppelt. Jetzt gönnen wir uns einen Kaffee.
Weiter geht es durch ZINGST und bald führt uns eine Brücke aufs Festland zurück.
Eine steife Brise bläst aus Nordwest. Das macht sie offenbar öfter, denn die Alleebäume stehen einheitlich ganz schief in einem Winkel von 60° geneigt.
Wir haben jetzt nur noch „Landvergnügen“ im Sinn. Ca. 20km müssen wir noch durchhalten.
In LANGENHANSHAGEN begrüßt uns die „Ostseemühle“ samt Hofladen. Ein Café ist auch dabei und es gibt Schauwerkstätten. Vor allem eine Ölmühle wird betrieben.
Hier ist alles sehr nett und gepflegt. Die Parkplätze sind unterschiedlich benannt, z.B. „Nur für die, die kurze Wege brauchen“, Nur für Hungrige“, „Nur für Kaffeetrinker“, „Nur für Gutgebaute“, usw. Wir stehen auf dem Parkplatz „Nur für Unternehmungslustige“. Der Name passt gut. Wir entdecken nämlich neben unserer Türe inmitten von Brennnesseln und Brombeerranken eine Steckdose, an die wir das WoMo nach ein bisschen Arbeit mit dem „Buschmesser“ anschließen können.
Es ist 22h, und es ist taghell. Je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr merken wir, dass die Tage länger werden.
94 km
Mi, 5. Juli
Das war ein guter Platz. Wir haben sehr gut geschlafen. Der hiesige Hahn hat auch ausgeschlafen.
Am Vormittag lösen wir gemeinsam - wie immer, wenn wir ein bisschen Zeit und Ruhephase haben - Das „Um die Ecke gedacht- Kreuzworträtsel“ aus der Zeitung „DIE ZEIT“. Das macht uns immer viel Spaß.
Es hat 14°. Aber es regnet immerhin gerade nicht.
Nach der Weiterfahrt entdecken wir, dass wir im Landkreis VORPOMMERN-RÜGEN angelangt sind. Das zeigt uns, wohin heute die Reise geht.
Über eine 3km lange Brücke setzen wir auf RÜGEN, die größte Insel Deutschlands über. Sie ist 52km kann und 41km breit.
Die Brücke ist so hoch, dass es uns vorkommt, als würden wir mit der Drohne fliegen. Es bietet sich eine veritable Luftansicht.
Klaus meint: „Die höchste Erhebung von Mecklenburg-Vorpommern ist die Rügenbrücke.“
Wir merken gleich, dass diese Insel gar nicht den Charakter von Sylt hat. Das kann man gar nicht vergleichen- vielleicht wegen ihrer Größe - sie ist fast 10 so groß - und weil man einfach über eine Brücke rüberfahren kann.
Unser Campingplatz ist in HAGEN. Das ist der Nachbarort von SASSNITZ im Nordosten.
Wir wohnen hier sehr nett in den Ausläufern des berühmten Buchenwaldes, der zum UNESCO-Welterbe gehört- im Nationalpark Jasmund.
Rügens Boddenlandschaft formt die Umrisse der Insel. Dadurch entstehen viele Halbinseln, wie die von JASMUND, auf der wir uns gerade befinden.
Wir waschen unsere Schmutzwäsche. Das ist unser heutiges Tagesprogramm.
Morgen hoffen wir auf besseres Wetter, denn heute jagt ein Regenschauer den anderen.
111 km
Do, 6. Juli
Wir haben sehr gut geschlafen, allerdings wieder einmal mit Zusatzgewand. Zu Hause hat es ja angeblich 29°.
Gestern habe ich einen Spruch gelesen, den ich sehr passend finde:
„Der Norden ist wie der Süden,
nur cooler.“
Heute lacht allerdings die Sonne. Alles ist wieder trocken, und es weht nur ein leichtes Lüftchen.
Nach einem gemütlichen Vormittag, an dem Klaus sein Ostsee-Bild fertig gemalt hat, holen wir Rucksack und Wanderschuhe hervor.
Wir wandern durch besagten Buchenwald zum Königsstuhl. Das ist die höchste Erhebung der Wahrzeichen von Rügen, der weißen Kreidefelsen, die schroff zum Meer abfallen. Auch sie sind UNESCO-Welterbe.
Bei der Wanderung sind wir ganz allein. Das ändert sich aber schlagartig, als wir beim Besucherzentrum ankommen.
Massen von Touristen, zu denen wir jetzt auch gehören, wuzeln sich über den Skywalk, von dem aus man einen besonders guten Blick aufs Meer und auf die schneeweißen Felsen hat.
Die meisten unserer Mitbewunderer steigen danach in den Shuttlebus ein, der sie zum Parkplatz bringt. Recht viele besteigen ihre E-Bikes und benutzen die Radwege.
Nur eine ganz kleine Minderheit - zu der wir auch gehören - wandern zu Fuß weiter zur „Victoria-Sicht“. Von hier aus, sieht man alles genauso gut, fast besser. Hier ist der Blick gratis, und es sind nur ganz wenige Menschen hier.
Stubbenkammer heißt die unmittelbare Umgebung des Königsstuhls. Der Name kommt aus dem Slawischen: „stoppen“=Stufe, „kamen“=Fels.
Unser Rundweg führt weiter zur sogenannten Herthaburg. Der langgestreckte, bewachsene Hügel vor uns war vom 8. bis zum 12. Jhd. eine slawischer Fluchtburg. Wir wären sicher einfach daran vorbeigegangen und hätten die gewaltige Festigungsanlage nicht erahnt. Experten wissen aber, dass diese Wälle eine Innenkonstruktion aus Holz hatten. Die gesamte Außenwand war mit Holz oder Steinen verkleidet, sodass Angreifer einer senkrechten Wand gegenüberstanden. Vermutlich gab es einen oder mehrere kontrollierte Durchlässe.
Gleich daneben liegt der märchenhafte kleine Herthasee. Die Bäume am Ufer hänge ihre Zweige ins Wasser und die gelben Teichrosen blühen- ein wahrhaft magischer Ort. Es verwundert kaum, dass die Wassergöttin Hertha hier wohnen soll.
Typisch für den Nationalpark Jasmund sind zahlreich Moore. Viele wurden in den Zeiten der DDR entwässert. Das „Alte Torfmoor“, an dem wir nun vorbei wandern, gibt es a aber noch.
Schließlich führt uns unser Weg auch zum Restaurant „Baumhaus“, das genau ein veganes Gericht auf der Speisekarte hat. Erfreulicherweise schmeckt es ausgezeichnet.
Nun sind wir gestärkt für das letzte Stück unseres Heimwegs.
Den restlichen Nachmittag genießen wir sehr. Wie schön ist es, wieder einmal barfuß im Freien zu sitzen!
0 km
Fr, 7. Juli
Wieder perfektes Wetter, trocken, sonnig bei 24°, nur ein leichtes Lüftchen.
Nach unserem „Kurzurlaub“ - wir waren zwei Nächte hier - ist unser Abschied von Rügen gekommen.
Von der hohen Rügenbrücke aus werfen wir unseren letzten Blick zurück auf die Insel, aber auch bereits den ersten nach vorne, auf die Hansestadt STRALSUND.
Wir finden einen Parkplatz, von dem aus wir zu Fuß ins Zentrum gehen können. Die Altstadt ist fast vollständig von Wasser umgeben. Auf der einen Seite grenzt sie an den Strelasund, auf der Landseite ist sie von bereits im 13. Jhd. angestauten Teichen umringt, an denen man es sich zwischen alten Bäumen auf Ruhebänken gemütlich machen kann.
Uns fällt als erstes die Stadtmauer aus Ziegeln auf. Sie sieht ganz neu aus. Kein Wunder, nachdem sie im 19. Jhd. unter der preußischen Herrschaft fast ganz geschleift worden war, wurde sie viel später an einigen Stellen restauriert oder originalgetreu nachgebildet.
Bei unserem Stadtspaziergang kommen wir zur wuchtigen Marienkirche, die wir schon von weitem gesehen haben. Am Neuen Markt könnten wir alle Arten von Fisch-Spezialitäten kaufen. Auch daran gehen wir vorbei.
Wir streben zum Alten Markt, dem mittelalterlichen Zentrum der Stadt.
Eine Wasserfläche mit Fontäne lädt seit 2012 vor allem die Kinder zum erfrischenden Britscheln ein.
Das älteste Haus am Platz ist die Ratsapotheke, die immer noch in Betrieb ist.
Auf der gegenüberliegenden Seite steht das historische Rathaus mit seiner hohen Prunkfassade mit sieben Türmchen. Es wurde im 14. Jhd. im Stil der norddeutschen Backsteingotik erbaut. Wir müssen sofort an Rostock denken. Hier hat man erfreulicherweise davon Abstand genommen, einen rosa Anbau davor zu stellen. Im Innenhof allerdings wurde in der Barockzeit eine hölzerne Galerie auf vierzehn Säulen errichtet. Sie ist ziemlich bunt bemalt, gefällt uns aber recht gut.
Direkt daneben steht die Nikolaikirche- auch Backstein, versteht sich. Auffällig ist, dass der eine Turm einen zwiebelförmigen Helm trägt, der andere aber nicht. Im 17. Jhd. verloren die Türme ihre gotischen Spitzen und erhielten notdürftigen Ersatz. Warum das so asymmetrisch geschah, erfahren wir nicht.
Auf dem Rückweg zum Auto kommen wir noch an einem typischen gotischen Dielenhaus vorbei, das in seine ursprüngliche Form rückgebaut wurde. Wir können es besichtigen.
Solche Häuser hatten eine große, oftmals über zwei Geschosse reichende hohe Diele, die einen beträchtlichen Teil des Gebäudes einnahm. Sie diente zugleich als Hauptaufenthalts- und Arbeitsraum. Vermutlich hatte es sich im Mittelalter aus dem Einhaus entwickelt, das nur einen großen ungeteilten Raum hatte. Dielenhäuser wurden sowohl von wohlhabenden Kaufleuten als auch von Handwerkern errichtet.
Überall in der Stadt haben wir Plakate gesehen, auf denen für die Wallenstein-Tage geworben wird.
Das ist ein historischen Volksfest samt Festumzug und vielen Veranstaltungen, an dem der Belagerung der Stadt Stralsund durch Wallenstein im Jahr 1628 gedacht wird. Stralsund konnte sie damals erfolgreich abwehren.
Das Spektakel werden wir leider verpassen. Es wird erst in zwei Wochen stattfinden.
Wir haben jedenfalls unsere heutige Ration an Backsteinbauten und Kopfsteinpflaster intus und verlassen die Stadt durch das Kütertor, eines der beiden erhaltenen Stadttore. Daneben steht das Torschließerhaus, ein Fachwerkhaus aus dem 13. Jhd.
Zu unserem heutigen Schlafplatz in GRISTOW ist es nicht mehr weit.
Es handelt sich diesmal um einen ehemaligen „Naturerlebnispark“, der jetzt privat als Gnadenhof geführt wird. Wir können hier jedenfalls die „Natur erleben“ und zusätzlich Dusche und Toilette benützen.
92 km
Sa, 8. Juli
Ein wunderbarer Platz für uns mit ganz viel Weite. Neben uns schreiten mit Würde die Pferde vorbei. Hinter uns suhlen sich träge einige Hängebauchschweine. Sie und all die anderen Tiere verbringen hier in Frieden ihren Lebensabend.
Auch wir haben es nicht eilig. Wir lassen uns mit dem Aufbruch Zeit.
Beim Abschied stecken wir den Betreibern dieser Oase eine eine kleine Spende zu.
Der Hansestadt GREIFSWALD widmen wir eine Sitzbesichtigung. Ach hier gibt’s wieder Markt mit Rathaus und Nikolaikirche- wieder Backstein. Ein wenig Überdruss ist wohl zu spüren.
Wir streben der Ostsee zu. Über eine große Hebenbrücke setzten wir auf auf USEDOM über- Ostseebäder, Strandkörbe, usw.
Am frühen Nachmittag finden wir in KOSEROW mit Hilfe unseres Park4Night-Apps einen lauschigen Platz unter Bäumen neben einem Friedhof.
Die Insel ist ca. 66km lang und 24km breit. Wir befinden uns hier an ihrer schmalsten Stelle. Im Nordosten breitete sich die Ostsee aus, genauer gesagt die Pommersche Bucht. Im Südwesten liegt ein Binnengewässer, das sogenannte Achterwasser.
Ich lade Klaus zum Pizzaessen ein und wir radeln danach noch weiter zum Strand, wo gerade ein heftiges Volksfest stattfindet, vor dem wir eiligst wieder flüchten.
Da loben wir uns uns unseren ruhigen Platz unter der alten Föhre.
71 km
So, 9. Juli
Es war ohne Zweifel ein wunderbarer Platz.
Leider wurden wir verjagt- immerhin erst um 7h20 in der Früh.
Wie wir erfahren haben, darf man auf der ganzen Insel nur auf ausgewiesenen Plätzen parken, und das Übernachten im Wohnmobil ist überhaupt nur auf Campingplätzen erlaubt.
Aus dem Tiefschlaf bis zur Abfahrt brauchen wir ca. 10 Minuten, dann sind wir - viel früher am Tag als geplant und etwas verschlafen „On the Road again“.
In unserer App werden wir natürlich unseren Erfahrungsbericht posten.
Bereits um diese Uhrzeit hat es 20°. Wir haben also einen heißen Tag zu erwarten.
Eine kurze Sitzbesichtigung von USEDOM STADT muss reichen- nette kleine Häuser, eher dörflicher Charakter, ansonsten Kopfstein und Backstein.
Wir verlassen die Insel an ihrer Südspitze und sind nun in der MECKLENBURGISCHEN SEENPLATTE.
Hier ist es recht idyllisch, und es gibt tatsächlich viele Seen. Immer wieder sehen wir auch alte Windmühlen.
Allerdings haben wir zeitweise das Gefühl, in der tiefsten DDR zu sein. Wir hoppeln auf sehr schlechten Straßen dahin und sehen Kolchosenruinen und andere verfallene Gebäude mit heruntergekommenen G’stetten, in denen eine Subkultur aus Adipositas, Alkohol und wummernden Bässen herrscht. Unsere Welt ist das nicht.
Die Fahrbahn ist wieder glatt asphaltiert, und wir kommen nun in der Landkreis UCKERMARK. Diesen ungewöhnlichen Namen habe ich schon mal gehört, hatte aber bis jetzt keine Ahnung, wo das liegt.
In GARWITZ gibt es einen Landvergnügen-Stellplatz bei einem Schafbauern, der seine Tiere vorbildlich hält. Der sehr nette Schäferladen HULLERBUSCH bietet nicht nur Schafprodukte, sondern auch Apfel-Prosecco, Stachelbeer-Rhabarbermarmelade und Soljanka, eine scharf-saure osteuropäische Suppe, die in der DDR einst sehr beliebt war und in dieser Gegend immer noch ist.
Wir können tatsächlich unsere Neugier stillen, denn es gibt davon auch eine vegane Variante.
Die reizende junge Verkäuferin ist selbst Veganerin. Und wie uns liegt auch ihr Nachhaltigkeit am Herzen.
Auf dem schattigen Platz verbringen wir einen angenehmen Nachmittag und eine gute Nacht.
149 km
Mo, 10. Juli
Der Platz hier war sehr idyllisch. Kein Wunder, wir waren in einem „staatlich anerkannten Erholungsgebiet“- dieses Schild steht dort tatsächlich.
Es regnet. Ach, ist das angenehm! Die Hitze hat uns nämlich jetzt auch erreicht. Oder - besser ausgedrückt - wir haben die Hitze erreicht, weil wir nicht mehr so weit im Norden sind.
Es geht auch weiter nach Süden. Schließlich sind wir auf dem Heimweg.
Morgen wollen wir bereits in Berlin sein.
Die UCKERMARK ist landschaftlich besonders schön. Windmühlen, Seen, Mischwälder- nicht spektakulär aber besonders angenehm für die Seele. Für die des Autofahrers aber nicht. Die Straßen sind erbärmlich schlecht. Wir fühlen uns in unsere Osteuropa-Reise zurückversetzt.
Wir wechseln das Bundesland und gleiten hier in BRANDENBURG auf einmal auf glattem Asphalt dahin.
Auch die Sonne kommt wieder heraus. Alles wirkt wie frisch gewaschen. Und - leider - die Temperaturen steigen.
Die Stadt TEMPLIN ist recht hübsch. Anlässlich der 750-Jahr Feier wurden alte Ansichten der Stadt auf Hausfassaden gemalt. Das gefällt uns sehr gut. Im Vorbeifahren entdecken wir ein Stück der Stadtmauer und ein altes Stadttor.
In CHORIN steht ein ehemaliges Zisterzienserkloster. Es wird als Schlüsselwerk der norddeutschen Backsteingotik bezeichnet, das erste gotische Gebäude in Brandenburg.
„Schon wieder Backsteingotik“. Aber letztendlich sind wir sehr begeistert. Die große Klosterruine steht mitten im Wald. Man muss von Parkplatz aus einen Spaziergang hin machen.
Wir bewundern die vielen netten Details und Verzierungen im Gemäuer.
Im 13. Jhd. wurde das Kloster erbaut. Im Zuge der Reformation wurde es im 16. Jhd. aufgelassen und verfiel. Brände taten ihr Übriges.
Lange Zeit wurden Ziegel als Baumaterial weggetragen und der zum Kloster gehörige Grund und Boden landwirtschaftlich genutzt.
Dem Architekten Karl Friedrich Schinkel, der vor 200 Jahren lebte, ist die Rettung dieses wunderschönen Gebäudes zu verdanken. Er nannte es „des Landes schönsten Schmuck“.
Er fertigte viele Zeichnungen an - die wir heute bestaunen können - und setzte sich unermüdlich bei den Behörden für die Restaurierung und Erhaltung ein.
Das auf einer Seite offene Kirchenschiff verwandelt sich im Sommer in eine Bühne für Theater, Opern und Konzerte.
Der Besuch hier scheint ein Geheimtipp sein. Wir sind fast alleine.
Wieder einmal bin ich meiner „Reiseleitung“ sehr dankbar.
In BRODIWIN-PEHLITZ übernachten wir auf dem Hof „Schwalbennest“ bei einem Demeter-Bauern, dem - wie wir vermuten - die Arbeit über den Kopf wächst. Alles wirkt eher schmuddelig und schlampig.
Auf der Weide - mitten im Grünen - haben es unsere Camper-Kollegen und wir allerdings sehr schön.
116 km
Di, 11. Juli
Heute fahren wir wirklich nach Berlin.
Auf dem Weg dorthin machen wir einen Stopp bei Deutschlands größtem Schiffshebewerk In NIEDERFINOW bei LIEPE.
Wir haben es auch schon bemerkt, dass die Landschaft hier nicht mehr so bretteleben ist, wie in der norddeutschen Tiefebene. Dort braucht man so ein Wunderwerk der Technik nicht.
Die Havel-Oder-Wasserstraße ist 135km lang und verbindet Berlin mit der Ostsee. Sie bezieht mehrere natürliche Gewässer mit ein und auch den Oder-Havel-Kanal.
Seit dem 17. Jhd. gibt es hier künstliche Wasserstraßen.
Die alte Schleusentreppe wurde von 1914 bis 1934 benutzt. Man sieht kaum mehr etwas davon, weil sie fast völlig zugewachsen ist und kein Wasser mehr führt. Sie hat so funktioniert wie die am Canal du Midi, die ich mir Gabi besichtigt habe, und die es dort immer noch gibt.
1934 wurde das Alte Schiffshebewerk fertiggestellt und funktioniert seither klaglos. In den fast 90 Jahren gab es nur 48 Stehtage.
Letzten Herbst - 2022 - wurde das Neue Schiffshebewerk feierlich eingeweiht.
Es funktionier genauso wie das alte, nach dem archimedischen Prinzip. Der sogenannte „Trog“ samt Wasser, in dem die Schiffe schwimmend gehoben und gesenkt werden, hat - unabhängig von der Masse der Schiffe - dieselbe Masse wie die Gegengewichte. Da geht es um tausende Tonnen. Nur eine Person ist nötig, um das ganze Werkel am Laufen zu halten.
Die neue Anlage ist um einiges größer als die alte. Nun sollen auch große Containerschiffe Platz haben.
Für die nächsten Jahre sollen beide Anlagen weiter parallel betrieben werden.
Wir haben uns das alles gar nicht so groß vorgestellt. Da wird immerhin eine Höhe von 36m überwunden.
Über eine 135m lange Kanalbrücke, die auch eine Straße überquert, kommen die Schiffe und werden abgesenkt, bzw. kommen sie von unten und fahren dann oben über die Brücke weiter.
Wir wandern über einen Serpentinenweg hinauf und bekommen eine Führung, die für Techniker sicher sehr interessant ist. Mir gefällt vor allem die Aussicht von hier oben und das Zuschauen beim Heben eines Ausflugsschiffs und zweier Segelboote in der alten Anlage. 20.000 Schiffe pro Jahr werden hier abgefertigt. Diese Anlage aus 1934 wurde 2007 als „Wahrzeichen der deutschen Ingenieurbaukunst“ ausgezeichnet.
Wir sind beeindruckt und froh, dass wir hier Halt gemacht haben.
Bei einem WoMo-Stellplatz in der Nähe leeren wir das Klo aus und füllen unseren Frischwassertank.
BERLIN, wir kommen. Unser einziger Grund, diese Stadt zu besuchen ist diesmal tatsächlich das Kieser-Studio in MARZAHN. Hier merkt man eindeutig, dass man im ehemaligen Ostberlin ist. Die alten Plattenbauten stehen teilweise noch. „Die Straßen sind auch aus Platten gebaut“, meint Klaus.
Wir trainieren und hauen wieder ab. Eine Stadtbesichtigung tun wir uns bei der Hitze nicht an. Wir waren ohnehin schon mehrmals hier.
Die Nacht wollen wir auf einem Parkplatz bei einem Spielplatz verbringen, den uns Park4Night empfohlen hat. Er ist nicht als Stallplatz ausgeschildert. Hoffentlich werden wir in Ruhe gelassen.
Hier ist es recht idyllisch, in EICHE, knapp außerhalb des nordöstlichen Stadtrands der Hauptstadt.
Klaus denkt, das Tagwerk ist getan und öffnet erwartungsfroh den Kühlschrank. Rums, fallen ihm alle Flaschen entgegen. Die Halterung in der Türe ist gebrochen. Als echtes Schanierl hat er natürlich seinen Spezial-Schweißkleber dabei und kann alles wieder reparieren.
Später gibt es noch einen ungewöhnlichen Einsatz für die Drohne. Buben suchen ihren Ball im hohen Gras.
113 km
Mi, 12. Juli
Der Platz war angenehm. Wir wurden nicht behelligt.
Der Spielplatz gehört zu einer Kinder-Tagesstätte. In der Früh liefern die Eltern ihren Nachwuchs hier ab- natürlich mit dem Auto. Daher wird der große Parkplatz gebraucht.
Am Abend und in der Nacht waren wir ganz allein.
Wir fahren um Berlin herum und weiter nach Süden- Richtung Spreewald.
Ich werde Gabi ein Glas „Spreewald-Gurken“ mitbringen, zur Erinnerung an den Film „Good Bye, Lenin“, den wir zusammen gesehen haben.
Bei unserer Fahrt durch kleinere Ortschaften sehen wir immer wieder „Mitfahrbänke“. Man setzt sich darauf und klappt das passende Schild heraus, das die Richtung anzeigt, in die man möchte. Leider sehen wir nie jemanden darauf sitzen, den wir mitnehmen könnten.
In BARUTH/ MARK übernachten wir auf dem Parklpatz des Wildparks Johannismühle. Wir interessieren uns nicht für die eingesperrten Luchse und Braunbären, mit denen hier geworben wird, also bleiben wir draußen. Aber den offiziellen „Landvergnügen“-Stellplatz nutzen wir gerne.
109 km
Do, 13. Juli
unsere Heimreise nach Süden geht weiter.
Heute steht der SPREEWALD auf unserem Programm.
In GÖRITZ stellen wir uns auf den Landvergnügen-Stellplatz der Spreewald-Bauern, die sich für die gemeinsame Direktvermarktung ihrer Produkte zusammengeschlossen haben.
Wir wollen unbedingt in einem der Spreewald-Kanäle Boot fahren.
Die nette Verkäuferin im Hofladen schickt uns nach RADDUSCH. Das liegt nur 1km entfernt und hat einen Spreewald-Hafen.
Wir befinden uns hier in der NIEDERLAUSITZ, im „amtlichen Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden“.
Alle Ortsschilder und Wegweiser sind zweisprachig angeschrieben. Das soll den Gästen zeigen, dass hier neben dem Deutschen auch eine andere Sprache und eine andere Kultur mit eigenen Traditionen beheimatet ist. Sorbisch/Wendisch gehört zur slawischen Sprachfamilie.
Während des 30-jährigen Krieges ging die Hälfte dieses westslawischen Volkes verloren. In der Zeit der Industrialisierung ist das sorbische Sprachgebiet weiter geschrumpft. Heute gibt es noch ca. 7000 Personen, die diese Sprache fließend sprechen. Ein Kulturverein bemüht sich um ihre Erhaltung.
Der SPREEWALD ist ein geschütztes Naturreservat mit unzähligen Kanälen, Seen und Flüsschen. Die Landschaft ist das Ergebnis der letzten Eiszeit vor ca. 10.000 Jahren, durch den Rückzug des letzten Inlandeises. Damals entstanden unter anderem die Hochmoore.
Neben Wander- und Radwegen ist hier das weitverzweigte Netz der sogenannten „Fließe“ etwas Einzigartiges. Diese Kanäle wurden im 18. Jhd. händisch gegraben. Sie sind nicht sehr breit und und nur ca. einen Meter tief. Beide Ufer sind mit Bäumen und Schilf zugewachsen.
Trotz ihres Namens fließen sie fast gar nicht.
Die Kanäle wurden zur Entwässerung der Moore gegraben und als Wasserstraßen.
Bis 1960 gab es in dieser Gegend Häuser, die nur vom Wasser aus versorgt werden konnten. Die Straßen wurden erst später gebaut.
Kein Wunder, dass das hier UNESCO-Biosphärenreservat ist.
Man kann eine Kahnfahrt buchen und sich vom Bootsmann mittels einer Stocherstange staken lassen. Oder man kann seine Komfortzone verlassen und ein Paddelboot mieten.
Dafür entscheiden wir uns.
Gut, dass unsere Muskeln vom vielen Kieser-Training gestählt sind ;-). Das Ganze ist ziemlich anstrengend und beschert uns auch Blasen an den Händen.
Außerdem wird man ziemlich nass, was aber bei den heißen Temperaturen sogar angenehm ist.
Es geht vorbei an See- und Teichrosen, umschwärmt von sich paarenden Libellen. Ganz besonders schön sind die tiefblauen Prachtlibellen. Die Spiegelungen der Uferbäume im Wasser tragen zusätzlich zum ganz besonderen Zauber bei.
Am Bootssteg einer alten Mühle aus dem 18. Jhd., die zu einem Restaurant umgestaltet wurde, legen wir an und halten Mittagsrast.
Bei der Heimfahrt sind wir schon wesentlich geübter und kommen schneller voran. Mittlerweile steuern wir recht geschickt und fast synchron.
Insgesamt sind wir ca. drei Stunden durch unberührte Natur gepaddelt.
Wir sind rechtschaffen müde, als wir wieder unser WoMo besteigen, um zu unserem Schlafplatz zu fahren.
62 km und 10 km mit dem Paddelboot
Fr, 14 Juli
RADDUSCH hat noch eine Besonderheit zu bieten, die wir uns nicht entgehen lassen wollen, die Slawenburg.
Es handelt sich hier nicht lediglich um einen Erdwall, wie wir das ja schon öfter gesehen haben, sondern die Burg wurde nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wieder aufgebaut.
Es handelt sich um eine runde Fluchtburg mit einem Wassergraben rundherum.
Der Umfang und die Dimensionen sind durch Ausgrabungen gesichert.
Es ist eine reine Holz- und Lehmarchitektur, die oben durch einen geflochtenen Zinnenkranz gekrönt ist. Ursprünglich gab es daneben ein Dorf, die Vorburgsiedlung.
Es gab in der NIEDERLAUSITZ ca. 40 solcher Burgen aus dem 9. und 10. Jhd. n.Chr., aber die meisten wurden durch den Braunkohletagebau unwiederbringlich zerstört.
Südlich und westlich des heutigen Spreewalds formierten sich im 7. und 8. Jhd. ankommende slawische Gruppen. Der slawische Stamm der Lusitzi oder „Sumpfbewohner“ war in dieser Gegend ansässig. Ringwallburgen dienten als Herrschaftssitze, Kultplätze sowie Flucht- und Speicherburgen. Durch die Ankunft der Slawen entwickelte sich eine wirtschaftlich und sozial differenzierte Gesellschaft.
963 wurden die slawischen Stämme vom sächsischen Markgraf Gero erobert. Als Ergebnis der Unterwerfung wurden die Slawen tributpflichtig. Diese Burg wurde aufgegeben und verfiel.
Orts- Flur- und Flussnamen erinnern noch heute an die slawischen Siedler.
Klaus lässt die Drohne steigen. Für solche Gesamtaufnahmen ist sie ja besonders gut geeignet.
Wir werfen uns nun auf die Autobahn und peilen unser Tagesziel an. Dabei wechseln wir ins nächste Bundesland- SACHSEN.
BAUTZEN ist die Stadt der Türme. Von unserem - sehr gut ausgestatteten - Stellplatz aus sehen wir gleich 9 Stück.
Wir radeln über die Spreebrücke in die von den Sorben geprägte Stadt. Bis heute ist sie deren Zentrum. Sie sind die Nachfahren der Elbslawen, die die oben erwähnten Slawenburgen errichteten.
Alles ist zweisprachig angeschrieben.
Auf dem Hauptmarkt mit seinen hübschen bunten Häusern steht das barocke Rathaus.
Besonders auffällig ist der Reichenturm, der ursprünglich zur Stadtbefestigung gehörte. Nach mehrfacher Beschädigung erhielt der runde Turm im 17. Jhd. einen eckigen Barockaufsatz. Was ihnen da wohl eingefallen ist? Der passt ja gar nicht dazu.
Der Petridom aus 1430 wird seit dem 16. Jhd. sowohl von Katholiken als auch von Protestanten genutzt. Man nennt das eine Simultankirche. Uns gefällt besonders der helle Innenraum, der Offenheit ausdrückt. Besonders hervorzuheben sind das Chorgestühl und die Fürstenloge.
Ein weiteres Wahrzeichen der Stadt ist der runde Turm der Alten Wasserkunst aus dem 16. Jhd., die seit damals bis 1965 zur Wasserversorgung der Stadt diente.
Auf dem Weg dorthin sind wir an der Mönchskirchenruine vorbei gekommen, das Relikt eines Klosters aus dem 13. Jhd., das bei einem Brand im 16. Jhd. zerstört wurde. Eine Mauer steht seither immer noch hier.
130 km
Sa, 15. Juli
Hier in Bautzen hat es uns gut gefallen.
Bei der Weiterfahrt überqueren wir noch einmal die Spree und nehmen Abschied von der hübschen Stadt mit ihrer bemerkenswerten Skyline.
Wir wollen heute nur zu unserem gebuchten Campingplatz in GROSZSCHÖNAU.
Vor Mittag sollen wir dort nicht anreisen. Also suchen wir uns zunächst einen schattigen Frühstücksplatz. Von hier aus können wir direkt einen kleinen Waldspaziergang machen, bei dem wir bei einem Himbeerschlag mit herrlich reifen Früchten landen.
Wir sind jetzt im äußersten Südosten von Deutschland, in der Ecke Sachsen, Tschechien und Polen.
Den sorbischen Bereich haben wir offensichtlich verlassen. Wir haben schon lange keine zweisprachigen Schilder mehr gesehen.
Der Häusertypus hat sich wieder geändert. Immer wieder sehen wir Häuser mit hölzernen Rundbögen davor- teilweise bemalt. Die Fachwerkhäuser kommen vereinzelt zurück, und die hübschen Muster durch Schieferschindeln.
Der Campingplatz „Trixi Ferienpark“ ist groß, sauber und bietet alles, was das Herz begehrt, sogar ein Schwimmbad.
Unsere Herzen begehren Waschmaschine und Trockner. Beides beschäftigt uns den Nachmittag über, zusammen mit Laptops, Zeitung, Malutensilien und Putzfetzen.
Wir genießen heute also einen Ruhetag.
61 km
So, 16. Juli
In der Nacht hat es gestürmt und geregnet und dabei etwas abgekühlt. Ach, wie ist das angenehm, nach dem gestrigen brütend heißen Tag.
Ein besonderes Highlight erwartet uns heute im Naturpark Zittauer Gebirge in der OBERLAUSITZ.
Wir fahren in einem offenen Wagen der Schmalspur-Dampfbahn von ZITTAU nach OYBIN.
Von dort wandern wir über einen steilen Weg und einige Stufen hinauf auf den Berg Oybin. Dort oben stehen die Ruinen der Burg Oybin, die Kaiser Karl IV zu seinem Alterssitz ausbauen ließ, und eines Klosters der Cölestiner, das 1369 gegründet wurde.
Das idyllische Szenario der eindrucksvollen Mauerreste hat unter anderem Caspar David-Friedrich in mehreren stimmungsvollen Bildern festgehalten. Auch viele andere Maler der Romantik ließen sich von dem Anblick inspirieren.
Nicht weniger interessant sind die markanten Sandstein-Felsformationen.
Kein Wunder, dass das alles hier ein Touristenmagnet ist- besonders auch für Tschechen, die haben’s nicht weit hierher.
Unzählige Restaurants und Souvenirläden gibt es im Kurort OYBIN. Außerdem auf Dampflock gestylte Busse, die den meisten Besuchern den Aufstieg ersparen.
Wir genießen den Ausflug trotzdem sehr.
Die Dampfbahn mit der Aufschrift „Deutsche Reichsbahn“ entführt uns in die Atmosphäre einer vergangenen Zeit. Eile gibt es keine auf der Fahrt. Schneller als 35 km/h wird es nicht.
Wir sitzen in der „Holzklasse“ und nehmen das rhythmische Zischen des Dampfes und das Rattern der Schienen wahr, das uns aus unserer Kindheit vertraut ist. Das Pfeifen der Lok finden wir besonders lustig, aber der Rauch, den sie ausstößt, ist heftig schwarz.
Unser Auto wartet auf einem Parkplatz in ZITTAU.
Auf dem Fußweg vom Bahnhof dorthin erkunden wir ein wenig die nette, kleine Kreisstadt.
Die Johanniskirche hat zwei Türme, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Das Rathaus in einem merkwürdigen Neorenaissance-Stil ist vor allem groß.
Die Innenstadt ist weitgehend autofrei. Das empfinden wir als angenehm.
Leider gibt es besonders viele stark renovierungsbedürftige Häuser. Um alles wieder schön herzurichten würde es eine Wirtschaftskraft brauchen, die in dieser eher abgelegen Region nicht spürbar ist.
Unser heutiger Landvergnügen-Schlafplatz ist ein Stückchen weiter im Nordwesten in ELBAU.
Der Berggasthof Beckenbergbaude - Baude heißt Schutzhütte - ist nicht nur idyllisch gelegen, sondern bietet auch eine exquisite Bio-Gourmetküche. Mehrere vegane Gerichte stehen auf der Speisekarte. Alles schmeckt köstlich und ist besonders liebevoll angerichtet- schon wieder eine positive Überraschung.
Ein älteres Ehepaar am Nebentisch empfiehlt uns dringend, Görlitz zu besuchen. Klaus ist schon am Umplanen.
37 km und ca. 20 km mit der Dampfbahn
17. Juli
Heute Nacht wurden wir von den Helden aus „Herr der Ringe“ beschützt. Ein sehr produktiver Schnitzer war und ist hier am Werk. Jede Menge Holzskulpturen stehen auf dem Platz vor dem Gasthof und säumen die Straße herauf.
Wir fahren nach Osten. Wir wollen tatsächlich der Empfehlung unserer Tischnachbarn folgen und GÖRLITZ besuchen. Das ist nun wirklich der alleröstlichste Ort Deutschlands.
Der Weg dorthin entpuppt sich als eine eindrucksvolle Fahrt durchs Hinterland. Immer wieder sehen wir sehr baufällige Häuser und Gehöfte.
In der Stadt selbst ist vieles schön hergerichtet, aber dazwischen - sogar direkt auf dem Markt - stehen Häuser, die einfach verfallen. Manche davon waren vormals sehr hübsch.
Das erinnert mich an Tschechien und Ungarn einige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Ich komme mir fast ein wenig wie auf einer Zeitreise vor.
Die Görlitzer bezeichnen ihre Stadt gerne als das Zentrum Mitteleuropas, im Dreiländereck von Deutschland, Tschechien und Polen.
1945 wurde sie kampflos durch die Rote Armee eingenommen und blieb daher fast völlig unzerstört. Man findet kaum irgendwo sonst ein so geschlossenes Bauensemble aus allen Stilepochen. Es wird aber noch eine Weile dauern, bis auch die letzten vom Braunkohlestaub zerfressenen Fassaden renoviert sind.
Die Stadt bewirbt sich gerade darum, mit ihrer Altstadt UNESCO-Kulturerbe zu werden. Dafür müssen aber wohl noch einige Auflagen erfüllt werden.
Auf dem Obermarkt steht der Reichenbacher Turm mit seiner barocken Haube. Auf ihm sind die Wappen der zwölf Territorien angebracht, zu denen das 1071 erstmals erwähnte Görlitz im Laufe seiner langen Geschichte gehörte.
Mächtig gibt sich gegenüber der Rundbau des Kaisertrutz. Er wurde zum Schutz des westlichen Stadteingangs gebaut. Der Name stammt aus dem Dreißigjährigen Krieg, als die Stadt von den Schweden besetzt war und den kaiserlichen und sächsischen Truppen trotzte.
Durch die Brüderstraße mit Häusern der Tuchhändler und Bürger aus dem Barock und der Renaissance gelangt man auf den Untermarkt.
Hier ist der ehemaligen Reichtum der Stadt noch deutlich spürbar. Ein Juwel der Renaissance ist das Rathaus mit seiner elegant geschwungenen Freitreppe, über die gerade ein frisch vermähltes Paar herabschreitet.
Daneben steht der ehemalige Gasthof „Brauner Hirsch“ mit seinem charakteristischen rotbraunen Erker. Auch die Ratsapotheke mit ihrer doppelten Sonnenuhr fällt uns auf.
Von den kostbaren Gewölbemalereien in der Dreifaltigkeitskirche sind wir allerdings enttäuscht. Sie sind leider - noch - in einem erbärmlichen Zustand.
Wir blicken auf die spätgotische Pfarrkirche Peter und Paul hinüber, deren weiße Türme mich sofort an die Votivkirche erinnern.
In einem der Renaissancehäuser kann man anhand seiner Reliefs in den Brüstungsfeldern aus der Bibel lesen.
Wenn man noch weiter bergab geht, gelangt man zum Fluss Neiße, der die Grenze zu POLEN bildet. Görlitz ist nämlich eine geteilte Stadt. Auf der polnischen Seite heißt sie ZGORZELEC.
Man kann einfach über eine Fußgängerbrücke hinüber gehen. Statt einer Grenztafel finden wir ein großes Schild mit der Aufschrift „Billige Zigaretten“ vor. Billig einzukaufen war schon in DDR-Zeiten der Hauptgrund für den Grenzübertritt.
Lange halten wir uns aber nicht im „Ausland“ auf.
Der runde, weißen Frauenturm - ehemals Teil eines Stadttors - lockt uns. Wegen seiner gedrungene Form wird er auch „Dicker Turm“ genannt.
Neben den vielen schmucken Häusern aus Barock und Renaissance gibt es in Görlitz auch ein bekanntes Jugendstil-Gebäude- mit Arkadengang und Glaskuppel. Es war vor dem Ersten Weltkrieg Deutschlands einziges großes Warenhaus. Leider ist es dauerhaft geschlossen. Wir können daher das prachtvolle Innere nicht bewundern. Eine Wiederöffnung steht in den Sternen.
Zuletzt suchen wir uns noch den Kunstbrunnen aus dem Ende des 19. Jhd. Wegen der bronzenen Frauenfigur mit einer Muschel über ihrem Kopf wird er allgemein nur „Muschelminna“ genannt. Er wird als der schönster Brunnen SCHLESIENS gehandelt- na ja.
Aha, Schlesien liegt ja eigentlich in Polen, aber hier ragt ein winziges Zipfelchen davon in die Lausitz herüber.
Bis ganz nach Dresden ist es uns heute zu weit, daher gibt es am Nachmittag ein Wiedersehen mit dem WoMo-Stellplatz in BAUTZEN, den wir seit Freitag in guter Erinnerung behalten haben.
95 km
Di, 18. Juli
Abschied von BAUTZEN, die Zweite.
Hauptprogrammpunkt von heute: Kiesertraining in DRESDEN.
Den Stellplatz den wir schon von unserer letzten Reise kennen, gibt es leider nicht mehr.
Die Enttäuschung währt nur sehr kurz, denn unser Park4Night zeigt uns einen anderen, der uns noch viel besser gefällt.
Die Altstadt und das Kieser-Studio sind von hier aus mit den Rädern leicht erreichbar.
Nach dem Training radeln wir noch eine Ehrenrunde. Wir haben die Stadt ja schon mehrmals besucht und dabei alles pflichtschuldig besichtigt.
Allerdings waren wir noch nie im Hof hinter dem Fürstenzug, dem Stallhof, der zum Residenzschloss gehört. Der war uns bis jetzt noch nie zugänglich. Also haben wir nun auch diese Lücke geschlossen.
Nun kaufen wir uns noch einen Reiseführer von Tschechien. Wir sind nämlich unserem Reiseplan um einige Tage voraus. So können wir unsere Heimreise ein wenig ausdehnen.
Klaus macht Reiseplanung ja ohnehin großen Spaß.
Dieser Kauf beschert uns einen kleinen Schreckmoment: Wir stellen unsere Klappis vor der großen Einkaufspassage ab. Nachdem wir nach einigem Suchen endlich die Buchhandlung gefunden haben, vermisst Klaus sein Handy. Hat er es womöglich in der Halterung an seinem Fahrrad gelassen? Dort ist es nicht. Aber es liegt friedlich auf seinem Sattel- Uff.
Auf dem Weg zurück zum WoMo kommen wir an einem Kino vorbei, in dem wir vor zwei Jahren waren. Damals lockte uns James Bond.
Und diesmal? Wir haben schon wieder einen spontane Idee. Wir schauen uns den neuen Indiana Jones-Film mit dem ca. 80-jährigen Harrison Ford an- sehr vergnüglich.
67 km
Mi, 19. Juli
Ein guter Platz, wieder einmal.
Wir fahren nach Südosten ins Elb-Sandsteingebirge, genauer gesagt in den Kreis SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE.
Durch Erosion sind spektakuläre Felsformationen entstanden. Es gibt auch Tafelberge, die uns an Monument Valley erinnern.
Bevor wir allerdings unsere Wanderschuhe anziehen, besuchen wir das DDR-Museum in PIRNA.
Wirklich erstaunlich, wieviele Alltagsgegenstände, Plakate, Fotos, usw. hier gesammelt wurden. Wir sehen auch ganze Wohnungseinrichtungen, Geschäfte, Fahrzeuge und vieles mehr.
In BAD SCHANDAU lassen wir uns im NP-Zentrum des Nationalparks Sächsische Schweiz die größten Highlights der Gegend empfehlen.
Nachdem wir uns auf dem Stallplatz in RATHEN eingerichtet haben, marschieren wir los.
Wir überqueren die Elbe mittels einer Fußgängerfähre. Dann steigen wir inmitten einer Touristenkarawane steil über Stufen bergauf. Der Weg zur „Bastei“ ist lang und anstrengend, aber für die tollen Ausblicke lohnt sich die Mühe.
Aus diesem Sandstein wurden die historische Gebäude von Dresden gebaut. Bei meinem ersten Besuch dort dachte ich, dass die schwarzen Gebäude schmutzig sind. Aber auch hier in der Natur ist das Gestein sehr dunkel.
Hier oben gab es auch einmal die Felsenburg „Neurathen“. Davon ist heute allerdings nichts mehr zu sehen.
Und jetzt geht es den ganzen Weg wieder bergab. Wir gut dass unsere Wadeln durch Kieser so gut trainiert sind ;-)
Die Fähre bringt uns zurück zum WoMo. Uns fällt auf, dass die Elbe sehr wenig Wasser führt. „Hoffentlich sitzen die vielen Schlauchboote, die flussabwärts fahren, nicht auf.“
83 km
Do, 20. Juli
Es regnet. Was bedeutet das für unsere heutiges Wanderprogramm?
Wir beschließen, dem Wetter die Chance für eine Veränderung zu geben und fahren wie geplant nach BAD SCHANDAU.
Uns interessiert der historische Personenaufzug, der zum höher gelegenen Ortsteil OSTRAU hinaufführt. Die 50m hohe, freistehende Eisenkonstruktion wurde 1905 errichtet.
Die Nietfachwerkkonstruktion, die von Anfang an elektrisch betrieben wurde, steht als „technisches Denkmal“ unter Denkmalschutz.
Ich finde ja, dass dieser „elektrische Turmaufzug“ wie ein kleiner schlecht proportionierter Eiffelturm aussieht. Die dezente Jugendstilornamentik gefällt mir allerdings gut.
Wir fahren hinauf und stellen erleichtert fest, dass die Kabine selbst ganz modern ausgestattet ist. Der Regen hat tatsächlich aufgehört und wir können nun hier oben - wie geplant - ein bisschen wandern.
Mehrere villenartigen Holzhäuser stehen hier. Möglicherweise stammen sie aus derselben Zeit wie der Aufzug. Jedenfalls haben einige von ihnen sicherlich schon bessere Zeiten gesehen.
Auch ein großes Kurhotel fällt uns auf.
Unsere Weg führt uns zunächst durch den Wald. Der lichtet sich bald, und vom Ostrauer Plateau aus haben wir eine tolle Aussicht über die Sächsische Schweiz um Bad Schandau, insbesondere auf die Schrammsteine, eine langgestreckte, stark zerklüftete Felsgruppe.
In TSCHECHIEN liegt der viel größere Teil des Elb-Sandsteingebirges. Dort heißt es BÖHMISCHE SCHWEIZ.
Seit die Grenzen offen sind, kann man hier ungehindert zwischen den Staaten „hin und her“ wandern.
Wir passieren die Grenze zur ČESKA REPUBLIKA bei SCHMILKA-HŘENSKO. Bis hierher waren es nur mehr vier Kilometer.
Die Fahrt ist beeindruckend. Sie führt vorbei an den tollsten Sandsteinsäulen zu beiden Seiten der Straße.
Leider gibt es auch schlimme Anblicke. Hier hat offenbar der Wald gebrannt.
Sofort fällt uns auf, dass es in diesem Land ärmlicher zugeht. als im reichen Deutschland.
Es ist gar nicht leicht, einen Parkplatz fürs Wohnmobil zu finden.
Endlich finden wir einen Stellplatz ein Stückchen weiter östlich in MEZNÍ LOUKA.
Der nächste Regenschauer kommt prompt. Aber, nachdem wir beschlossen haben, trotzdem - in voller Adjustierung - loszumarschieren hört er wieder auf.
Leider hört auch der Weg bald auf. Nicht nur Brände haben hier gewütet, sondern auch der Borkenkäfer, der große Fichtenwaldflächen zerstört hat. Das sieht aus, wie das Skelett eines Waldes. Viele tote Stämme stehen wie Sprießeln da. Zahllose sind bereits umgefallen und liegen kreuz und quer am Boden. Manche Wege sind bereits gesperrt.
Wir klettern noch ein wenig über Baumstämme und durchs Gestrüpp, dann beschließen wir umzudrehen. Nicht zu früh, denn kaum sind wir in unserem schützenden Häuschen angekommen, bricht der nächste Regenguss los. Es wird ziemlich kühl. Wir kramen die schon lange nicht mehr gebrauchten Socken und langen Hosen hervor.
Bereits im Nachthemd überlege ich, ob man für Tschechien wohl eine Autobahnvignette braucht. Ich google das Vokabel für Autobahn, damit wir uns morgen besser erkundigen können. Sofort wird mir die Seite angeboten, auf der man sofort - in deutscher Sprache - eine digitale Vignette kaufen kann, gültig für 10 Tage. Das geht wirklich ganz einfach. Wir schlagen sofort zu und sind eine Sorge los.
34 km
Fr, 21. Juli
Weiterfahrt nach Osten durch den Nationalpark „Böhmische Schweiz“ mit seinen eindrucksvollen Felsformationen.
Die Spuren der Verheerung sind vorbei. Wir fahren durch schmucke Dörfer mit vielen Blumen.
Halb verfallene Häuser und Ruinen sind allerdings auch immer wieder zu sehen.
Das Wetter ist freundlich, und die Temperaturen angenehm.
Bald verlassen wir das Elb-Sandsteingebirge und wechseln ins Lausitzer Gebirge.
Aus der Ferne erkennen wir schon bald das sehr spitze Gebäude auf dem Berg Ještěd (=Jeschken), das zugleich ein Sendemast und ein Hotel ist. Klaus erinnerte die Form dieses ungewöhnlichen Landmarks an eine buddhistische Stupa. Meine Assoziation ist prosaischer. Ich denke bei dem Anblick an eine Saugglocke.
Je näher wir herankommen, desto weniger lockt uns die Fahrt mit der Seilbahn auf dem Gipfel. Wie aus einem Mund stellen wir fest: “Sche is net.“ Wir haben genug gesehen und drehen um.
Unser heutiges Hauptziel ist ist ja ohnehin LIBEREC (=Reichenberg).
Der Campingplatz, den wir anpeilen, ist einfach, aber ganz in Ordnung und erstaunlich billig.
Wir bauen unsere Gartenmöbel als Platzhalter auf, und nach einer kleinen Erholungspause fahren wir ins Stadtzentrum. Hier steht das pompöse Rathaus. Dem Architekten diente jenes aus Wien als Vorbild - samt Rathausmann. Die feudalen Villen und prächtigen Stadthäuser stammen ebenfalls aus der Zeit, als „Reichenberg“ wirklich noch reich war. Inzwischen sind sie großteils ein bisschen schäbig. Der bunte Architekturmix auf dem Platz wirkt durchaus freundlich.
Hinter dem Rathaus steht das Stadttheater.
Bei unserem weiteren Spaziergang kommen wir auch am renovierungsbedürftigen klassizistischen Schloss vorbei.
Die Stadt ist das industrielle, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum NORDBÖHMENS.
Uns ist jetzt auch nach Kultur, denn hier gibt es eine höchst eigenwillige Kunstgalerie, die in der historischen Schwimmhalle des Kaiser-Franz-Josef-Bads untergebracht ist. Man kann noch genau erkennen, wo das Schwimmbecken war.
Die Ausstellung, die gerade gezeigt wird, gefällt uns sehr und bringt uns immer wieder zum Schmunzeln. Der 1979 geborene tschechische Künstler Pasta Oner hat sehr originelle Ideen. Er verbindet z.B. klassische Gemälde mit Comics. Dadurch entsteht eine ganz andere Aussage des Werks.
Wir beenden unsere Besichtigungstour und genießen „zu Hause“ die Annehmlichkeiten eines Campingplatzes.
Die Einwohner von LIBEREC nennen ihre Stadt liebevoll den „Nachttopf Europas“. „Wenn es nicht regnet, schneit es“, sagen sie. Auch bei unserem Besuch hat es immer wieder geregnet.
104 km
Sa, 22. Juli
Das PARADIES ist nahe- das BÖHMISCHE.
Es liegt ca. 50 km südlich von hier.
Nach einer Fahrt auf der Autobahn sind wir noch vor dem Frühstück an Ort und Stelle.
Für diesen touristischen Hotspot muss man verständlicherweise Eintritt bezahlen. Dafür können wir hier den ganzen Tag und die ganze Nacht parken.
Wir wandern bei strahlendem Sonnenschein - zusammen mit vielen anderen Touristen - über gut angelegte Wege und unzähligen Stufen im UNESCO-Geopark durch eine vielerorts surreal anmutende Märchenwelt voller erstarrter Riesen, die in einem Zeitraum von 100 Millionen Jahren entstanden sind. Tektonische Bewegungen spalteten die Sandsteinablagerungen aus der Kreidezeit auf, und Wind, Wasser, Frost und Sonne formten daraus diese natürlichen Skulpturen.
Jeder Regen spült weiterhin Sand aus den Felsensäulen. Wir gehen teilweise wie über einen Sandstrand.
So toll haben wir das gar nicht erwartet, stellen wir voller Begeisterung fest. Der Ausflug hierher war ja ursprünglich gar nicht geplant. Aber, wenn man schon einige Tage „eingespart“ hat, …
Nachdem wir uns satt gesehen haben, wollen wir uns auch satt essen. Eine historische Schutzhütte bietet eine deutsche Speisekarte, ein vielversprechendes Karfiolgericht und einen Apfelstrudel. Wir schlagen zu.
Schreiben für meinen Blog und Fotobearbeitung warten danach auf uns, wie jeden Abend.
50 km
So, 23. Juli
Um 8h - wir reiben uns gerade verschlafen die Augen - erfolgt für uns die „Vertreibung aus dem Paradies“. Der Parkplatzwächter klopft. „Nicht schlafen“, schimpft er streng und verlangt die Parkgebühren für einen weiteren Tag von uns, über € 15.00.
Klaus reagiert energisch: „Wir fahren“. Und das tun wir tatsächlich- natürlich ohne zu bezahlen.
In wenigen Minuten haben wir alles, was während der Fahrt herumfliegen könnte unter die Bettdecken gesteckt, das Gas abgedreht, und weg sind wir. Das Schlafgewand haben wir noch an. Das sind so die kleinen Abenteuer der Camper.
Die Fahrt geht heute nach Westen, durch eine hügelige, stark bewaldete Mittelgebirgslandschaft, die uns an das Alpenvorland erinnert.
Aus dieser Gegend stammte übrigens Wallenstein, von der Raubritterburg Waldstein. Die historische Figur scheint eher ein unguter Kerl gewesen zu sein. Schiller gab ihm den Namen Wallenstein und „verbesserte“ seinen Charakter.
Da wir heute nicht auf der Autobahn fahren, fällt uns deutlicher auf, dass in den Ortschaften viele Häuser verfallen. Wir sind hier halt im tiefsten Hinterland.
Kokořínsko, das Naturschutzgebiet Kokorschin ist laut Reiseführer das schönste Wandergebiet des nördliche MITTELBÖHMENS. Das wollen wir natürlich testen.
Auch auf dem hiesigen Wanderparkplatz darf man laut Park4Night übernachten. Mal sehen, was uns diesmal blüht. Immerhin zahlen wir für das Tagesticket weniger als die Hälfte des gestrigen Preises.
Nach der verspäteten Morgentoilette, und nachdem wir alles ordentlich weggeräumt haben, ziehen wir uns die Wanderschuhe an und marschieren los.
Es ist tatsächlich sehr hübsch hier. Der schmale Weg führt durch den Wald, vorbei an Schluchten, einem romantischen Seerosenteich und vielen Sandsteintürmen, wie wir sie von gestern kennen. So spektakulär ist es heute aber lange nicht, dafür wir sind ganz allein unterwegs.
Erst als wir uns der trutzigen Burg Kokořín nähern, wimmelt es wieder von Touristen. Man kann nämlich vom Parkplatz aus über wenige Stufen zu ihr hinaufsteigen. Über 500 Jahre lang stand hier eine Ruine, bis sich ein reicher Industrieller einen Adelstitel kaufte und die Burg in einem pseudogotischen Stil wieder aufbaute. Wie aus dem Bilderbuch steht sie jetzt da.
In dieser Gegend hat übrigens Ottfried Preußler seine Geschichte vom Räuber Hotzenplotz angesiedelt. Der Schriftsteller war Sudetendeutscher und wurde im - uns bereits bekannten - Liberec (=Reichenberg) geboren.
76 km
Mo, 24. Juli
Wir sind heute freiwillig etwas früher aufgestanden, sodass wir schon fertig waren, bevor der Parkplatzwächter aufgetaucht ist. Auf diese Weise haben wir uns einen Konflikt erspart.
Wir verabschieden uns von dieser schönen Gegend. Sandsteinsäulen begleiten uns noch ein Stück des Weges.
In MĚLNÍK schauen wir auf eine hübsche Aulandschaft hinunter, auf den Zusammenfluss von Moldau und Elbe.
Und dann geht es wirklich nach PRAG.
Der Autoverkehr in der Großstadt ist fast ein Kulturschock.
Unser Campingplatz liegt aber im Grünen, auf einer Moldauinsel. Wir richten uns ein und machen es uns gemütlich.
Am Nachmittag fahren wir mit den Rädern in die Stadt.
Wir waren ja schon öfter hier, das erste Mal im Februar 2002, also vor über 21 Jahren. Das war damals unsere erste gemeinsame Reise. Eine ganze Woche haben wir damals hier verbracht und ein umfangreiches Besichtigungsprogramm absolviert.
Heute wollen wir vor allem das Hotel besuchen, in dem wir damals gewohnt haben.
Der Weg ist ziemlich weit, und der Straßenverkehr recht heftig. Aber noch unangenehmer ist das Kopfsteinpflaster im Stadtzentrum. Die Abstände zwischen den wackeligen Pflastersteinen sind so breit, dass man regelmäßig befürchten muss, die Fahrradreifen könnten dazwischen stecken bleiben.
Das Jerome House ist gar nicht leicht zu finden, zumal es in der Zwischenzeit seinen Namen in Hotel Adler geändert hat. Aber Klaus und maps.me finden es schließlich doch. Auch das Antiquariat daneben, in dem sich Klaus damals einige Bücher gekauft hat, gib es noch.
Auf unserer Suche sind wir auch am traditionellen Brauhaus U Fleků, wo der brave Soldat Schweyk sein Bier getrunken hat, vorbeigekommen.
Noch komplizierter gestaltet sich die - schließlich erfolgreiche - Suche nach dem Hl. Wenzel, der ein totes Pferd reitet. „Pferd/Kůň“ ist das wahrscheinlich meistfotografierte Werk David Černýs. Es hängt von der Decke der Jugendstil-Passage Lucerna, nur ein paar hundert Meter von Myslbeks ikonischem Reiterdenkmal auf dem Wenzelsplatz. Das ist ganz sicher kein Zufall. Dieser Wenzel hier in der Einkaufspassage sitzt zwar auch auf dem Pferd, aber auf seinem Bauch. Das tote Pferd ist an seinen zusammengebundenen Hufen aufgehängt. Seine Zunge hängt heraus.
Zufällig entdecken wir noch andere Werke Černýs (Jahrgang 1967) auf unserer Tour. Ein Mann und eine Frau scheinen an ihren Regenschirmen in die Stadt herunter zu schweben- erinnert mich ein wenig an Mary Poppins. Weibliche Figuren kriechen über einen Dachfirst. Ihre Köpfe sind Lampen. Gesichtslose Riesenbabys aus Bronze - mit Barcodes auf den Köpfen - kriechen den Fernsehturm hinauf.
Der Objektkünstler gilt als Enfant terrible der tschechischen Kunstszene. Seine Werke sorgen immer wieder für Kontroversen. Mit vielen seiner provokanten Kunststreiche geht der Künstler mit den Herrschenden und seinem Land hart ins Gericht. Sein Name heißt übersetzt „Schwarz“, und entsprechend gefärbt ist sein Humor.
Am Altstädter Ring kommt man in Prag einfach nicht vorbei. Das Denkmal für den Reformator Jan Hus beherrscht den Platz. Die Teinkirche mit ihren spitzen Türmen hat uns schon bei unserem ersten Besuch hier gut gefallen. An das Altstädter Rathaus mit seiner Astronomischen Uhr kann ich mich auch noch gut erinnern. Und nicht zuletzt steht hier das Palais Kinský, in dem übrigens Bertha von Suttner aufgewachsen ist. Dass die rosa Verzierungen seiner Rokoko-Fassade wie herunterhängende Fleischfetzen aussehen, hat sich bisher bei jedem Besuch hier bestätigt.
Hinter der barocken Nikolauskirche steht das Geburtshaus Kafkas.
Wir machen noch einen kurzen Abstecher ins jüdische Viertel. Die meisten alten Häuser wurden ja aus hygienischen Gründen am Ende des 19.Jhd. abgerissen. Jugendstil-Gebäude wurden an deren Stelle gebaut. Nur die Synagogen stehen noch. Wir erinnern uns gut an die Altneu-Synagoge, schon allein wegen des Namens.
Wir wuzeln uns nicht - inmitten von Touristenmassen - über die Karlsbrücke. Wir nehmen einfach die nächste. Auf der Moldau ist ganz schön was los. Viele bunte Boote sind unterwegs. Eines ist auf „Tschiti Tschiti Bäng Bäng“ getrimmt, mit 4 waagrechten Rädern an den Ecken.
Zeit fürs Abendessen. Das vegane Restaurant, das wir im Auge haben, liegt in einer sehr steilen Gasse. Wir müssen bergauf schieben. Als wir das Gebäude gefunden haben, stellt sich heraus, dass wir bis in den dritten Stock hinaufsteigen müssen. Und das ist noch nicht genug. Es führen noch weitere Stufen bis aufs Dach hinauf. Hier oben sitzen wir nun - sehr originell - und lassen uns kulinarisch verwöhnen.
Nun haben wir noch einen recht weiten Rückweg zum Campingplatz vor uns. Rechtschaffen müde kommen wir in unserem Häuschen an.
59 km und über 21 km mit den Klapprädern
Di, 25. Juli
Nach einem geruhsamen Vormittag auf dem Campingplatz fahren wir nochmals in die Stadt. Diesmal radeln wir aber nur die wenigen Kilometer zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. So ersparen wir uns das Kopfsteinpflaster. Öffentliche Verkehrsmittel sind für Senioren gratis- wie praktisch.
In der Straßenbahn sitzend kann man mehr von der Stadt wahrnehmen, als wenn man über gefährliches Pflaster hoppelt. Ganze Straßenzüge erinnern mich frappant an Wien. Kein Wunder, die beiden Städte haben über über lange Zeit die gleiche Geschichte erlebt.
Für heute haben wir uns einen Besuch in der Nationalgalerie vorgenommen. Das Gebäude - der ehemalige Messepalast - im funktionalistischen Stil vermag uns von außen nicht zu begeistern. Das Innere aber ist mit seinen lichtdurchflutenden Räumen und offenen Galerien sehr beeindruckend.
Was mir allerdings ganz besonders gut gefällt, ist die besondere Hängung nach Themen.
Es werden z.B. Selbstportraits und Stillleben von den verschiedensten Künstlern gezeigt. Später sehen wir Portraits der Mutter des jeweiligen Künstlers, Familienszenen, Akte - die oft eine ähnliche Stellung einnehmen - Flusslandschaften und vieles mehr. Wir bekommen auch ganz unterschiedliche Werke zu sehen zu Sujets „Im Theater“, „Im Zirkus“, usw.
Viele der - meist tschechischen - Künstler sind uns nicht bekannt. Einige große Namen sind aber auch dabei, z.B. Picasso.
Museumsbesuche sind immer anstrengend. Nach zwei Stunden nehmen wir die Straßenbahn zurück zu unseren Rädern. Wir sind froh, dass sie noch das sind. Allerdings müssen wir feststellen, dass jemand an Klaus’ Zahlenschloss herumgedreht hat und dass in meinem Hinterrad Luft fehlt.
Erst jetzt entdecken wir, dass es von hier aus eine kleine Fähre gibt, die direkt an unserer Insel anlegt. Da hätten wir die Räder heute eigentlich gar nicht gebraucht.
Kurz bevor ein Gewitter losbricht, sind wir wieder beim WoMo.
Später pumpt Klaus mein Fahrrad auf, und wir stellen erleichtert fest, dass es die Luft hält. Es wurde also nicht - wie befürchtet - hineingestochen, sondern nur das Ventil aufgedreht.
Morgen müssen wir uns von PRAG verabschieden. Wir kommen aber bald wieder. Im November werden wir hier ein Konzert von Beth Hart besuchen.
Mi, 26. Juli
Es hat wieder einmal die ganze Nacht geregnet. In der Früh ist es ziemlich kühl, was wir als sehr angenehm empfinden.
Wir brechen auf.
Neben uns macht sich auch eine Gruppe Einradfahrer aus Deutschland reisefertig.
Diese jungen Leute sind so herzerfrischend nett. Für zwei Tage waren sie unsere Nachbarn. Reizendere kann man sich kaum vorstellen.
Unsere Heimreise nach Süden geht weiter. Heute wollen wir bis BUDWEIS (=České Budějovice) fahren.
Auf der Autobahn geht es flott voran.
Mit über 90.000 Einwohner ist die Stadt die größte in SÜDBÖHMEN.
Přemysl Ottokar II. gründete sie im 13. Jhd. als seine Königstadt.
Die Lage war und ist besonders günstig: 150km südlich von Prag und 80km nördlich von Linz.
Wir finden den, von unserer App empfohlenen Gratis-Parkplatz neben einem Park. Hier wird das Übernachten im Wohnmobil angeblich geduldet.
Auf einem hübschen Weg spazieren wir durch den Park in die Innenstadt. Wir sind sehr angetan. Das ist ja richtig idyllisch.
Vor fünf Jahren - auf dem Heimweg vom Nordkap - waren wir schon einmal hier.
Der Hauptplatz, umgeben von Arkadenhäusern in Pastelltönen, gefällt uns besonders gut. Überhaupt scheint das Lebensgefühl hier ein sehr angenehmes zu sein.
Das vegane Restaurant, das Klaus im Internet gefunden hat heißt „Slunce“. Das klingt eigentlich nicht appetitlich. Google übersetzt: „Sonne“. Na, das ist ja schon wesentlich besser.
Wir finden ein angenehmes Flair und köstliches Essen vor.
Ein Verdauungsspaziergang führt uns zurück zum WoMo.
160 km
Do, 27. Juli
Heute verlassen wir TSCHECHIEN, das grundsätzlich einen sehr guten Eindruck auf uns gemacht hat- durchaus hübsche Orte und Städte, wunderschöne Landschaft, köstliches Essen, gute Straßen und sehr moderate Preise.
Die Straßen kommen uns jetzt vor wie Hochschaubahnen. Das Gebiet hier ist sehr wellig. Kein Wunder, wir sind auf dem Böhmischen Massiv, das sich dann auch im Mühlviertel fortsetzt.
Die ersten Casinos, Fetztenläden und Bordelle zeigen uns, dass wir uns der Grenze nach ÖSTERREICH nähern. „Griaß di“ begrüßt uns OBERÖSTERREICH.
Wir sind so endgültig auf dem Heimweg, dass wir uns in FREISTADT darauf beschränken, eine Autobahnvignette und eine Gasflasche zu kaufen- unsere ist uns zu guter letzt leer geworden. Die Firma Schaumberger führt die verschiedensten Modelle- alle, die wir brauchen.
Zu unserer Ehrenrettung muss man sagen, dass wir schon öfter hier waren, und die wunderschöne Stadt bereits ausgiebig gewürdigt haben.
In LINZ wartet das letzte Kieser-Studio dieser Reise auf uns. Wir haben diesmal 21 verschiedene Studios besucht. In Hamburg waren wir sogar zweimal.
Unser heutiges Tagesziel ist wie so oft das Autohaus Sulzbacher in EFERDING. Wir schlafen davor im WoMo. Morgen Früh haben wir hier einen Termin. Sie haben uns nämlich das letzte Mal einen falschen Scheinwerfer eingebaut. Daher beginnt und endet heuer unsere Reise hier.
140 km
Fr, 28. Juli
Früh aufstehen, denn unser Werkstatttermin ist um 7h30. Gut, dass wir schon an Ort und Stelle sind. Wir haben ja hier geschlafen.
Den Vormittag verbringen wir traditionellerweise beim McDonalds im Garten, mit einer Tasse Kaffee bzw. Tee und genügend Lesestoff.
Gegen Mittag können wir unser - wieder „perfektes“ - WoMo in Empfang nehmen.
Gestern haben wir in EFERDING einen tollen Bio-Laden, den Hof Achleitner entdeckt. Er bietet ein veganes Buffet an. Das müssen wir unbedingt testen- köstlich.
Klaus’ Bruder Stefan und seine Frau Ursula haben uns für den Abend nach THALHEIM eingeladen.
Wir verbringen eine schöne Zeit mit ihnen und übernachten auch dort.
34 km
Sa, 29. Juli
Heimfahrt nach WIEN
206 km
Gesamtkilometer der Reise: 8084 km
Durchschnittliche Kilometerleistung pro Tag: 85 km